Glaubt man den sozialen Medien, herrscht bei Twitter gerade Chaos. Nachdem die Hälfte der knapp 7000 Angestellten entlassen wurde, sollen nun weitere Massenkündigungen folgen. Wie auf Twitter von ehemaligen Firmenangehörigen behauptet wird, steht Twitter mittlerweile kurz vor dem Zusammenbruch – neben den Bereichen Marketing, Personalwesen und Verwaltung wurden offenbar auch zahllose IT-Profis entlassen, die für die kritische Technik der Plattform zuständig sind. Sogar Elon Musk hat davor gewarnt, dass eine Insolvenz von Twitter nicht auszuschließen ist.
Wird Twitter deshalb aber in den nächsten Tagen oder Wochen zusammenbrechen? Ich bin kein Fan von Elon Musk, aber vor dem Geschäftssinn des Unternehmers kann man nur großen Respekt haben. Es ist undenkbar, dass ein erfahrener Investor wie Elon Musk ein Unternehmen gezielt vernichtet, in das er so viele Milliarden investiert hat und von dessen Beliebtheit er so profitiert. Nicht zuletzt ist Twitter wohl wichtigste PR- und Marketing-Plattform für Tesla und Musk hat endlos viel Zeit in seinen Auftritt auf der Plattform gesteckt . Hier kann er mit einem Tweet Bitcoin abstürzen lassen, Werbung für eine neue Tesla-Funktion machen und Tesla-Aktionäre bei Laune halten. Dass er sich viele Gedanken darüber gemacht hat, wie man mit Twitter Geld verdienen kann, ist offensichtlich, wenn man etwa ein durchgesickertes Gespräch mit Twitter-Angestellten durchliest.
Sind die Massenentlassung nicht völlig verrückt?
Bei einem funktionierenden Unternehmen knapp zwei Drittel der Angestellten zu entlassen, wirkt irre: „Da muss der Laden doch zusammenbrechen“. Das ist aber wohl übertrieben und schon viele entlassene Angestellte haben zu Unrecht gedacht, ohne sie würde ein Unternehmen sofort pleitegehen. Ich vermute: Der Kernbetrieb wird trotz vieler Ausfälle und Fehler auch mit deutlich weniger Entwicklern und leitenden Sales-Profis funktionieren. Viele der jetzt entlassenen Entwickler sind zudem erst in den letzten zwei Jahren eingestellt worden und waren im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt – nicht im laufenden Betrieb. Massenentlassungen sind in den USA nicht neu, auch Amazon und Meta trennen sich aktuell (lautlos) von zehntausenden an Mitarbeitern – Snap gerade von 20 Prozent seiner Beschäftigten.
Was aber seltsam ist: 75 Prozent der Belegschaft zu feuern, ist selbst in den USA sehr ungewöhnlich und vor allem die Art der Durchführung kann man nur als theatralisch bezeichnen. So mussten die verbleibenden Mitarbeiter eine Art „Pakt“ unterzeichnen, Home-Office ist ohne Schonfrist verboten (man fragt sich, ob Twitter genug Büroraum hat) und zuletzt wurden Vergünstigungen wie Wellness und Daycare gestrichen.
Fast wie eine Inszenierung wirkt es auch, wenn Entwickler zu nächtlichen Treffen einbestellt werden und Fotos dieser Treffen geteilt werden. Zuletzt wurde bekannt, dass Angestellte jede Woche einen Bericht über ihre Tätigkeit per E-Mail liefern sollen! Fast jede Entwicklung wird auf Twitter sofort veröffentlicht und breit von den Medien zitiert – als würde Twitter öffentlich am offenen Herz operiert. Ein wenig hat das alles von einem Theaterspiel.
Sind die Twitter-Mitarbeiter zu faul?
Das Verhalten von Elon Musk erinnert ältere Beobachter an „die gute alte Zeit“ wie den Dotcom-Crash oder die große Entlassungswelle bei Yahoo von 2013. Auch hier gab es harte Entlassungswellen. Bei Yahoo traf etwa die neu angetretene Firmenchefin Marissa Mayer eine harte Entscheidung: Home-Office wurde abgeschafft und alle Remote arbeitenden Yahoo-Mitarbeiter mussten wieder ins Büro: Yahoo habe zu viele Angestellte und viele Home-Office-Angestellte sollen Zweitjobs gehabt haben. Das wird auch Twitter-Mitarbeitern indirekt vorgeworfen.
Das ist auch in Deutschland nicht unbekannt. So sprach etwa Peter Löscher bei Siemens einmal von der so genannte „Lehmschicht“, die er loswerden wolle. Das ist aber meist nur vorgeschoben: Bei Entlassungen geht es ganz einfach um die Einsparung von Kosten. Man kann vermuten, bei dem Streichen von Home-Office gehe es vor allem darum, gezielt Mitarbeiter loszuwerden, die durch lange Firmenzugehörigkeit hohe Gehälter erhalten. Und die im Home-Office arbeiten, da sie bereits eine Familie haben. Das komplette Personal einer Firmentochter zu entlassen und an einem neuen Standort wieder eine Belegschaft neu einzustellen ist übrigens auch in Deutschland üblich, etwa im Medienbereich. Nicht übersehen sollte man, dass bei Twitter bereits wieder neues Personal gesucht wird, sowohl in den Bereichen Marketing als auch Technik.
Personalkosten
Dass es Entlassungen geben würde, war schon lange bekannt und Musk hatte dies längst vor dem endgültigen Kauf angekündigt. Vor allem diese hohen Einsparmöglichkeiten waren vielleicht sogar ein Grund, dass Musk so schnell Kredite über etwa 12 Milliarden Dollar erhielt. Wie die “Washington Post” berichtet, hatte Twitter selbst eine große Entlassungswelle geplant, etwa ein Viertel der Belegschaft sollte gehen und 800 Millionen Personalkosten einsparen. Bisher war das Management aber davor zurückgeschreckt.
Gut für eine Neiddebatte eignen sich die Arbeitsbedingungen: Twitter machte zuletzt keine Gewinne (2021 waren es 221 Millionen Dollar Verlust bei 5,08 Milliarden Umsatz). Die Mitarbeiter verdienten aber gut, wenn auch die reinen Personalkosten aus der Bilanz nicht klar hervorgehen. Allein letztes Jahr erhielten Twitter-Mitarbeiter sogenannte stock-based compensations (Aktienoptionen als Gehaltsteil) in Höhe von 630 Millionen Dollar, im Median bezogen sie ein Gehalt von 240 000 Dollar, Programmierer 304 000 Dollar im Jahr. Dazu kommen noch externe Mitarbeiter, die etwa die Twitter-Inhalte überprüfen. Insgesamt könnten die Personalkosten bei etwa 3 Milliarden Dollar gelegen haben. Gewinne gab es keine, dafür hat Twitter keine nennenswerten Schulden und zahlt kaum Zinsen.
Allein durch Entlassungen kann Musk wohl Milliarden an Personalkosten einsparen, zusätzlich soll Geld durch das Verringern von Infrastrukturkosten (v.a. Serverkosten) eingespart werden. Bei gleichen Umsätzen könnten so schnell aus 200 Millionen Verlust Milliardengewinne werden, Musk hat sogar seinen Investoren versprochen, die Umsätze zu verdoppeln!
Das wirkliche Problem von Elon Musk
Das größte Problem, vor dem Twitter aber steht, sind hohe Schulden. Musk hat für Twitter nicht einfach 44 Milliarden bar auf den Tisch gelegt, sondern Aktien gekauft – zusammen mit Sequoia Capital, Binance und der Qatar Investment Authority. Etwa 13 Milliarden der Kaufsumme stammen dagegen von Banken wie Bank of America, Morgan Stanley oder Larry Ellison und wurden nicht Musk, sondern Twitter als Schulden auferlegt – ein Leveraged Buyout. Twitter muss deshalb laut Bloomberg zukünftig jährlich knapp 1,2 Milliarden Dollar an diese Schuldner zahlen. Mangels Zinsbindung bei der Hälfte der Schulden kann dieser Betrag sogar steigen.
Hier liegt nun die eigentliche Gefahr für Twitter und eine Insolvenz ist bei einer Rezession nicht ausgeschlossen, wie Musk betont hat. So könnte eine Rezession die Werbeeinnahmen zusammenbrechen lassen. Die große Dramatik um Twitter lädt zu einem Gedankenspiel ein: Nachverhandlungen sind immer möglich, besonders wenn es um Milliarden an Zinsen geht. Geht es um sein Geld, ist Musk aber knallhart (so ließ er kurz vor dem Verkauf von Paypal seine damalige Ehefrau einen Ehevertrag unterschreiben). Hier könnte man spekulieren, ob hier ein Grund für Musks erratisches Verhalten besteht. Was würde aber bei einer Insolvenz passieren? Laut Wall Street Journals wäre er zwar der größte Verlierer. Als Besitzer von Aktien wird er zuletzt berücksichtigt. In den USA gibt es aber eine alternative Möglichkeit der Insolvenz, unter dem Namen „Chapter 11“ bekannt.
Laut diesem Kapitel des Insolvenzrechts kann ein Unternehmen bei Zahlungsunfähigkeit eine Neustrukturierung beantragen und Zinszahlungen werden eingefroren. Firmen wie Chrysler, Delta und GM konnten mit einer solchen Insolvenz erfolgreich ihre Schuldenlast reduzieren – Erlass, Teilerlass oder Stundung. Erst letztes Jahr hatte Musk spekuliert, durch eine Rezession könnte eine solche Form der Insolvenz bei Space X nötig werden. Eine Insolvenz ist aber nur bei Unternehmensproblemen möglich, wie sie gerade bei Twitter so dramatisch zelebriert werden. Schon die Gefahr einer Insolvenz könnte schließlich für Nachverhandlungen mit den Banken hilfreich sein.
Meine Wette: Twitter wird es noch sehr lange geben und Elon Musk langfristig viel Geld und Einfluss garantieren.