Würde man einen Preis für das meist gehypte und zugleich meist verspottete Thema verleihen, hätte wohl Mark Zuckerbergs Metaverse einen der vorderen Plätze verdient. Einen Boom erlebte das Thema, nachdem sich Facebook vor knapp einem Jahr in „Meta“ umbenannt hatte und seine neue Strategie vorstellte. Es setzte aber bald Ernüchterung ein.
So zeigten sich bei virtuellen Konferenzen im Metaverse technische Probleme, vielen Testern fehlte außerdem der Mehrwert. Trotzdem sollte man die dahinter steckende Technologien wie AR und VR nicht vorschnell abschreiben, auch Apple, Microsoft und Google investieren Milliarden in Themen wie HMD, AR und VR. Vor allem Apple scheint aber ein völlig anderes Konzept als Meta zu verfolgen.
Was hat das Metaverse mit Apples AR- und VR-Projekten zu tun?
Beim Hype-Thema Metaverse, AR und VR gibt es immer wieder Missverständnisse, weil sich die Technologien schwer abgrenzen lassen. Das Metaverse oder Metaversum ist im engeren Sinne aber ein virtueller Raum, in dem sich Benutzer mithilfe von Avataren bewegen – was die Möglichkeiten stark einschränkt. Ältere Leser werden da sofort an Second Life denken, gilt dieses am Bildschirm gespielte Game doch als erstes erfolgreiches Metaversum. Bei den aktuellen Konzepten steht außerdem ein VR-Headset im Vordergrund, auch HMD (head-mounted display) genannt. Man setzt die mit Bildschirmen versehe Brille wie Metas Oculus Quest auf und taucht in die virtuelle Welt ein.
Aktuell ist das Interesse an diesem Thema fast schon wieder im Abflauen, da die meisten neueren Projekte wenig Substanz hatten. So setzten viele neuere Metaversen nicht nur auf Technologien wie AR und VR, sondern zugleich auf das Hype-Thema Krypto. Viele der neuen virtuellen Räume basieren – eigentlich ohne triftigen Grund – auf der Technologie Blockchain. So zeigen die von Molly White auf der Seite Web3 is Going Just Great gesammelten Flops eine Mischung aus übersteigerten Erwartungen, Hybris und Betrug.
Auch die Nutzerzahlen blieben bisher enttäuschend. Das Metaversum soll aber offener und ohne Beschränkungen sein. Gedacht ist es nicht nur als Unterhaltungsmedium, sondern auch als Ort für Arbeit, Freizeit und Lernen. Firmen sollten hier Filialen eröffnen und ihre Produkte verkaufen. Zuletzt eröffnete etwa die Deka-Bank das „Dekaverse“. Die seriöse und bekannte Metaverse-Plattform Decentraland etwa wurde von ihren Investoren mit 1,3 Milliarden bewertet. Allerdings hat sie offenbar unter hundert tägliche Nutzer, ein Problem vieler Projekte.
Mit Spielen wie “World of Warcraft” gibt es dagegen ungemein erfolgreichere virtuelle (PC-) Welten. Die künstlichen Welten von Epic, insbesondere Fortnite, besuchen täglich Millionen Nutzer, aber auch eine Social-Community wie VRChat ist erfolgreich. Was sich hier aber langfristig durchsetzt, lässt sich aktuell kaum absehen.
Das plant Apple
Apple arbeitet aktuell anscheinend an gleich zwei Geräten, über die nur Gerüchte bekannt sind: an einer Datenbrille und einem herkömmlichen, sogenannten Mixed-Reality-Headset. Zuerst soll das Headset erscheinen, später die Datenbrille. Letztere soll optisch eher einer herkömmlichen Brille gleichen und vor allem AR-Funktionen bieten. Das Headset würde sich auch für das Metaverse eignen, wir vermuten aber, dass Apple ein völlig anderes Konzept im Sinn hat.
Das laut Berichten an eine Ski-Brille erinnernde Headset könnte im Sommer 2023 erscheinen – passend zur WWDC – und zwischen 2000 und 3000 Dollar kosten. Es ist laut Berichten von Mark Gurman und Ming-Chi Kuo mit zwei hochauflösenden Micro-OLED-Displays ausgestattet und verfügt über Kameras. Man „sieht“ also ein Kamerabild, das mit zusätzlichen oder komplett virtuellen Daten ergänzt wird.
Hohe Rechenleistung garantiert ein M2-Chip, wie er im aktuellen Macbook Air steckt. Über viele Details des Headsets gibt es bereits Gerüchte: So nennt sich das neue Betriebssystem laut Gurman xrOS und beinhaltet Apps wie Messages, Facetime und Maps. Wohl nicht ohne Grund hat sich Apple außerdem die Markennamen „Reality Pro“ und „Reality One“ gesichert. Wie zuletzt von The Information berichtet, soll es dank Iris-Scan sogar Anmeldungen und Bezahlvorgänge ermöglichen, „Iris ID“ genannt.
Das automatische Erkennen des Nutzers und Einloggen in den richtigen Benutzeraccount soll so möglich sein. Interessant für Brillenträger: Diese können eigene Linsen ergänzen. Optisch bestehe es aus Mesh-Gewebe und Aluminium und mache einen hochwertigen Eindruck. Im Unterschied zu Konkurrenzprodukten wie Meta Quest Pro soll das Gerät zudem leichter sein. Irritierend: Was der Anwender damit tun wird, ist aber bisher nicht ganz klar. Hier kann man nur spekulieren und einigen Hinweisen nachgehen.
Das sind die Einsatzgebiete von AR
Bei Apple erstem Headset soll es sich um ein sogenanntes AR/VR-Headset handeln: Statt den Nutzer nur in eine komplett virtuelle Welt zu versetzen, kann ein solches Headset virtuelle und reale Welt vermischen. Kameras würden ein Bild der Umgebung einfangen und auf internen Bildschirmen mit eingeblendeten AR-Elementen ergänzen.
Hier gibt es viele spannende Einsatzmöglichkeiten, die vom Gaming bis zum Militär reichen. Einen ersten Einblick, was AR-Spiele leisten können, zeigte die App Pokémon Go. Gerade AR bietet aber auch jenseits der Spiele- und Video-Themen zahlreiche Einsatzmöglichkeiten. Bei den Alltags-Aufgaben haben sich einige Bereiche herauskristallisiert: Navigation, Information, Bildung und Produkt-Präsentationen.
Was uns bei vielen AR-Funktionen auffällt: Sie sind oft sehr nützlich, wirken aber schon nach kurzer Gewöhnung völlig alltäglich und fast etwas langweilig. Bei etlichen AR-Funktionen hat sich nebenbei herausgestellt, dass sie auch ohne Datenbrille hervorragend funktionieren – was ihren Wert aber nur steigert.

Bei einem VR-Spiel ist man mitten im Spiel
IDG
Eine der wichtigsten Einsatzmöglichkeiten ist Navigation. Nutzern von Google Maps ist eine AR-Funktion bereits vertraut: Man richtet die Kamera auf seine Umgebung und die iOS-App zeigt im Kamerabild nicht nur die Umgebung, sondern dank GPS genaue Wegweiser und Zusatzinformationen.
Die App Google Lens bietet eine AR-Übersetzungsfunktion: Richtet man die iPhone-Kamera auf einen fremdsprachigen Text, kann Google Lens diesen in Echtzeit übersetzen und etwa für einen Touristen eine japanische Speisekarte nutzbar machen. Bei einem Headset oder einer kommenden AR-Brille würden solche Daten dann sofort im Blickfeld auftauchen – ohne Eingriff am Smartphone.
Unter iOS 16 ist die neue Funktion visuelles Nachschlagen eigentlich eine AR-Funktion. Dank Objekterkennung kann man Objekte in einem Foto per Antippen nachschlagen. All diese Funktionen könnte auch eine Apple-Datenbrille liefern.
Viele Einsatzmöglichkeiten finden sich auch im militärischen Bereich, etwa bei der hier besonders wichtigen Navigation. Auch heute noch orientieren sich Soldaten oft noch per Karte und Kompass, hier gibt es mit MAVIS ein interessantes Gerät von L3 Harris. Über ein durchsichtiges Display erhält sein Benutzer Wegpunkte, Routen und Ziele eingeblendet – bei Bedarf auch bei kompletter Dunkelheit. Microsoft erprobt aktuell schließlich die Nutzung seines Systems Hololens beim amerikanischen Militär, dazu aber später mehr.
In komplett anderen Gebieten wie beim Einkaufen ist AR ebenfalls sehr nützlich. Nicht ohne Grund ist eine der erfolgreichsten und ältesten AR-Anwendungen die Ikea-App: Man kann mit ihr bei vielen Ikea-Möbeln ausprobieren, wie sie in der eigenen Wohnung aussehen würden. Per Kamera-Funktion kann man sein neues Sofa oder einen neuen Tisch in das Kamerabild einblenden und sieht sie so, wie sie sich neben der alten Kommode machen würden. Ähnliche Funktionen bieten die Apps von Wayfair, der US-Firmen Home Depot und Target. Ein Beispiel wie hier Apple seine Rolle sieht: Ein Angestellter eines Möbel-Ladens scannt per iPhone eine neue Lampe als 3D-Objekt ein, und kann sie nun in einem AR-Shop online verkaufen.
AR kann aber auch bei der Auswahl einer neuen Brille helfen, indem man ein Foto seines Gesichts mit verschiedenen Brillenmodellen bestückt. Hilfreich ist AR außerdem bei Weiterbildungen. Stehen die entsprechenden Schulungsmaterialien zur Verfügung, sind per Datenbrille ganz neue Lernmöglichkeiten nutzbar.
Der Einsatz im Handwerk wird ebenso erprobt, so könnte man per Datenbrille einem Außendienstmitarbeiter bei komplizierten Fällen weiterhelfen – etwa indem ein Meister aus der Zentrale eine Montage oder Wartung einer Heizungsanlage erklärt. Notizen oder Skizzen kann man bei bereits bestehenden Lösungen einfach per Datenbrille einblenden.
Dell bietet seinen Kunden bereits per AR Hilfe bei Reparaturen. Eine solche Unterstützung ist vor allem bei komplexeren Produkten notwendig, die nicht immer von Fachpersonal gewartet werden können. Für die in der Ukraine eingesetzten Panzerhaubitze 2000 lieferte der Hersteller KMW beispielsweise Unterstützung per AR, vermutlich über sein System Integrated Logistic Maintenance Equipment.

Bei der Wartung ist das System ILME hilfreich
KMW
Wie Colin Hughes gegenüber 9to5Mac anmerkt, könnte ein Apple-Headset nicht zuletzt bei körperlichen Einschränkungen sehr nützlich sein – etwa indem das Headset bei Menschen mit schlechter Sehfähigkeit Objekte identifiziert und Texte vorliest.
Das bietet Apple für Entwickler
Apple schien in den vergangenen Jahren weniger auf virtuelle Welten wie das Metaverse zu setzen und eher auf das zweite Reality-Konzept: Augmented Realiy (AR), eine sogenannte Mixed Reality: Man ist in der realen Welt, diese wird aber per Bildschirm oder Einblendung um zusätzliche Informationen ergänzt. Dabei sieht sich Apple offensichtlich weniger in der Rolle desjenigen, der AR-Umgebungen, Spiele oder ein „Appleversum“ anbietet – sondern als ein Plattformanbieter, der unter iOS und macOS die Werkzeuge für die Entwicklung dieser Umgebungen bereitstellt. Schon seit 2017 gibt es für die Entwicklung von AR-Apps die Entwicklungsumgebung ARKit, die laufend weiterentwickelt wurde.
Mit dem Framework RealityKit und dem Tool RealityComposer stellt Apple außerdem die Tools bereit, um virtuelle Objekte zu erstellen und zu ergänzen. Auch der in iPhone Pro und iPad Pro eingeführte Tiefensensor LiDAR zeigt, wie sehr Apple dieses Thema am Herzen liegt. Mit diesem Spezialsensor kann ein Anwender eine 3D-Aufnahme eines Raumes oder von Objekten vornehmen – wichtig für das Entwickeln von Augmented-Reality-Anwendungen.
Ein Blick in Apples Stellenanzeigen zeigt, wie sich Apple hier (trotz Einstellungsstopp in anderen Firmenbereichen) engagiert. Unter dem Schlagwort „AR/VR“ finden wir bei Redaktionsschluss 155 Stellenanzeigen für Entwickler von AR/VR-Hardware und -Software. Sowohl in Seattle als auch an anderen Standorten sucht Apple Entwickler für zahlreiche Einzelaufgaben wie AR/VR-Hardware- und Software, aber auch Plug-ins für Maya und Blender und Entwickler mit Erfahrung mit Spatial Audio. Offensichtlich setzt Apple nämlich nicht nur auf AR, auch VR soll unterstützt werden.
Microsoft Hololens
Weit nüchterner, aber sinnvoller als das Konzept von Meta finden wir das Hololens-Projekt von Microsoft, das möglicherweise eher Apples Ansatz entspricht. Mit der Datenbrille Hololens 2 bietet Microsoft eine Mixed-Reality-Lösung, die sich vor allem an Unternehmen richtet. Mit einer Hololens 2 kann etwa ein Maschinenbauer die Ausbildung von neu eingestelltem Arbeitern günstiger durchführen, aber auch die teure Reise eines Experten zum Kunden durch eine Fernwartung ersetzen.
Microsoft arbeitet dabei mit anderen Software-Firmen zusammen, so gibt es etwa Anwendungen für die Weiterbildung von CAE Healthcare oder eine Lösung für den Einzelhandel von Hevolus. Viel Aufsehen erregte ein 10-Jahres-Vertrag mit der US Army: Die amerikanische Armee will ganze 21 Milliarden Dollar für „next-generation night vision and situational awareness capabilities“ ausgeben.
Hier zeigen sich aber bei Tests mit der Hololens die typischen Probleme bisheriger Headsets: Bei der Koordination und Navigation der Einheiten waren die Geräte sehr nützlich, allerdings berichteten achtzig Prozent der Soldaten von Kopfschmerzen, Schwindel und Augenproblemen durch die Headsets. Die leuchtenden Displays hätten die Soldaten im Ernstfall zudem zum leichten Ziel gemacht: „The devices would have gotten us killed“, so ein Kommentar. Allerdings hat Microsoft schon oft viel Geduld bewiesen, weshalb man das Konzept nicht vorschnell abschreiben sollte.
Fazit
Beim Thema Metaverse sollte man der Versuchung widerstehen, das ganze Konzept ins Lächerliche zu ziehen. Hinter hüpfenden Avataren, Kopfschmerzen und an den Haaren herbeigezogenen Blockchain-Anbindungen stecken aber nützliche Anwendungsbereiche. Nicht grundlos investieren Apple, Google und Microsoft seit Jahren viel Geld und Energie in diesen Bereich, vor allem von Apple kann man im nächsten Jahr einige Ankündigungen erwarten. Allerdings dauert die Umsetzung deutlich länger als erwartet, und es ergeben sich andere Anwendungen als gedacht.