Nein, das Ergebnis des National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien ist kein „Quantensprung“, sondern ein bedeutender Fortschritt in der Erforschung der Kernfusion. Quantensprung ist schon deshalb falsch, weil das eine kleinstmögliche Änderung beschreibt und keinen „Durchbruch“, als den die Forschenden zurecht ihr Ergebnis feiern.
Stattdessen ist von „einer der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts“ die Rede, wie US-Energieministerin Jennifer Granholm jubelt (etwa laut Spiegel). Das ist nicht verkehrt, da es Leistungen von Physikern wie die Entdeckung des Higgs-Bosons oder den Nachweis von Gravitationswellen nicht kleinredet – sie spricht nicht von der absolut besten Leistung. Die Aussage schürt jedoch zu hohe Erwartungen, die nur enttäuscht werden können. Eine Lösung für das Problem mit fossiler Energie ist die Kernfusion generell nicht, dafür wird sie zu spät kommen, falls die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium je gelingen sollte.
Was gelungen ist – und was nicht
Und dennoch ist das Versuchsergebnis ein Grund zur Freude: Erstmals ist es bei einem Experiment gelungen, aus den zu Helium fusionierten Wasserstoffkernen mehr Energie herauszuholen, als man mittels Laser einstrahlte. Und genau hier liegt der Haken des Experiments verborgen: Hoffnung auf eine schon bald verfügbare saubere Energiequelle gibt der Versuch recht wenig. Denn betrachtet man die Energie, die zunächst in den Laser gepumpt werden muss, fällt die Bilanz wieder streng negativ aus.
Zudem ist derzeit völlig unklar, wie man die frei werdende Energie in Form schneller Neutronen denn auch wirklich „ernten“ kann. Vielversprechender sind Anlagen wie ITER, die zwar noch lange nicht fertig sind, bei denen aber die Verwertung der Energie technisch weitgehend geklärt ist. Hier wird ultraheißes Wasserstoffplasma von einem Magnetfeld in eine Kammer gesperrt, die Kerne haben dabei ausreichend kinetische Energie, um beim Zusammenstoß zu Helium zu fusionieren, die frei werdenden Neutronen erhitzen Wasser zu Dampf, das dann wiederum von Turbinen zu elektrischer Energie umgewandelt wird. Doch dürfte auch diese Art der Energiegewinnung erst weit in der zweiten Hälfte des 21sten Jahrhunderts wirtschaftlich nutzbar sein, so es je geschieht.
Zwei Forschungsstandorte in Deutschland sind weit vorn mit dabei: Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München und dessen Außenstelle in Greifswald, wo der Versuchsreaktor Wendelstein 7-X betrieben wird. Fusionen gelingen auch dort, bisher aber nicht in einer Art und Weise, dass man mehr Energie herausbekommt, als man reinsteckte oder sich die Fusion im Plasma länger als Sekundenbruchteile aufrechterhält. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, frühestens in der zweiten Hälfte des 21sten Jahrhunderts wird das der Fall sein.
Die Idee, die in Kalifornien zum Durchbruch geführt hat, ist übrigens nicht neu. Im 1988 erschienenen Sammelband des Scientific American (Spektrum der Wissenschaft) „Anwendungen des Lasers“ fanden wir einen Artikel zur laserinduzierten Kernfusion, der in einem Zeithorizont von zehn (!) Jahren tiefgreifende Experimente vorhersah und für irgendwann im 21sten Jahrhundert die Möglichkeit, große Mengen an Energie damit zu gewinnen. Gut 35 Jahre später ist man zwar einen großen Schritt weiter gekommen, aber noch lange nicht am Ziel.
Kernfusion: Zu Risiken und Nebenwirkungen
So ist es völlig überzogen, heute zu erwarten, dass die Menschheit schon „bald“ quasi unbegrenzt Energie zur Verfügung hat, ohne CO₂-Emissionen, ohne radioaktiven Abfall. Ersteres ist nicht verkehrt, zweiteres kein so großes Problem wie bei der industriellen Kernspaltung. Strahlender Abfall fällt dennoch an: Bei Weitem nicht alle frei werdenden Neutronen erhitzen in einem Fusionsreaktor Wasser zu Dampf, viele bleiben auch in den Wänden der Fusionskammer „stecken“ – und erzeugen darin radioaktive Elemente. Die Wände eines solchen Reaktors müssten auch alle Jahre vorsichtig entsorgt werden – dennoch kein Vergleich mit dem Müll von Spaltungsanlagen.
Aber auch der Brennstoff könnte knapp werden, wenn sich die Technologie als erfolgreich erweist. Denn bei der Fusion kommen die beiden schweren Wasserstoffisotope Deuterium (ein Proton, ein Neutron, stabil) und Tritium (ein Proton, zwei Neutronen, radioaktiv) zum Einsatz. Gerade Tritium ist aber begrenzt in den Weltmeeren vorhanden. Übrigens: Auch Uran geht irgendwann einmal aus, selbst Transmutationskraftwerke wie der von Bill Gates vorgeschlagene Laufwellenreaktor haben irgendwann allen nuklearen Brennstoff verbraucht und nur in der Theorie nicht zu strahlendem Müll verwandelt.
Bleibt nur eine schier unerschöpfliche Energiequelle, die wir dieser Tage sehr vermissen, die Sonne. Diese ist nichts weiter als ein dauerhaft stabil laufender Fusionsreaktor, der freigewordene Energie vornehmlich in Form elektromagnetischer Wellen zur Erde schickt, über eine Strecke, für die das Licht acht Minuten benötigt. Die gute Nachricht: Der Reaktor wird noch mindestens eine Milliarde Jahre mit der heutigen Leistung arbeiten.
Die nicht so gute Nachricht: Aus der Sonne gewonnene Energie (die Windkraft dürfen wir da sogar dazu zählen) ist nur schwer speicherbar. Aber hier geht die Entwicklung weit schneller voran, überschüssiger Solar- oder Windstrom könnte zur Elektrolyse von Wasserstoff benutzt werden oder sogar zur Synthese von Methan, Ethan und Butan – wäre dann kein Erdgas mehr, sondern grünes. Nicht zuletzt dienen smarte Grids als Stromspeicher, auch Pumpspeicherwerke, Carnot-Batterien und andere Methoden sollten in der Lage sein, erneuerbare Energie so lange zu speichern, bis sie gebraucht wird. Das ginge auch recht schnell bei Flauten, Dunkelheit oder anderen Hinderungsgründen für „frische“ Energie – nicht Grundlast ist gefragt, sondern Residuallast. Bleiben die Probleme mit Rohstoffen wie Kupfer – die gäbe es auch mit Fusionskraftwerken, denn die liefern letztendlich auch nur Strom.
Was bedeutet Kernfusion?
Seit der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts kennt man den Massendefekt: So sind die vier Bausteine des Heliumkerns, zwei Neutronen und zwei Protonen, insgesamt schwerer als der Heliumkern. Wenn nun aber die vier zu einem zusammenfinden, wo geht dann die Masse hin? Ganz einfach: Sie wird zu Energie, nach der berühmten Formel E = mc2. Technisch verwendet man bei der Fusion einen Deuterium- und einen Tritium-Kern, das entstehende 4He hat dann ein Neutron übrig, um ihm die überschüssige Energie zu übertragen. Entsteht 3He, also Helium mit nur einem Neutron im Kern, tragen zwei Neutronen hohe kinetische Energie davon. Der Rest ist fast schon banal: Die schnellen Neutronen reagieren mit Wasserstoff und teils Sauerstoff im Siedewasser, das dann in Dampfform Turbinen antreibt.
Der letzte Part ist bei Kernkraftwerken (streng genommen Fissionskraftwerken, für fission = Kernspaltung) der gleiche, der Massendefekt auch vorhanden, nur andersherum: Der Uran-Kern 235U ist schwerer als seine Spaltprodukte zusammen. Der Rest der Masse wird zu kinetischer Energie von Neutronen.