Das Konzept von Apples Vision Pro klingt ungefähr so: Der Besitzer des neuen Appe-Headsets kommt nach Hause in seine schicke Wohnung, wo weder iMac noch TV-Gerät stehen. Beide sind nämlich nicht mehr nötig. Arbeitet er im Home-Office, kann er vom Sofa aus mit seiner Datenbrille arbeiten, aber auch im Büro mit Bluetooth-Tastatur am Schreibtisch.
Abends entspannt er sich bei einem guten Film aus der Disney+-Bibliothek oder einem Apple-Arcade-Game. Die Vision Pro spart Platz, man kann den bisher durch mehrere klobige Bildschirme belegten Platz nun anderweitig nutzen. Auch in einer kleinen Stadtwohnung oder Hotelzimmer hat man jetzt die Wahl zwischen einem virtuellen Arbeitsbildschirm oder einer riesigen Kinoleinwand und kann 3D-Simulationen frei in der Wohnung platzieren.
Apples multifunktionales Gerät hat sicher das Potenzial, die Arbeit mit Computern zu revolutionieren. Abgesehen davon, dass die beschriebene Nutzungsart auf mich recht einsam wirkt, hängt wohl der Erfolg der Vision Pro von Eigenschaften ab, die noch gar nicht ausreichend getestet werden konnten: Wie fühlt man sich nach einem ganzen Arbeitstag mit der Vision Pro? Und was ist eigentlich der Mehrwert?
Das kleinste Problem: Bildqualität
Um auf einem virtuellen Bildschirm Text zu lesen oder Final Cut Pro zu bedienen, braucht man eine hohe Auflösung. Was bei vielen VR-Brillen der ersten Generationen enttäuschte, war das unscharfe Bild. Tester wie John Gruber von Daring Fireball bescheinigen der Vision Pro dagegen „Retina“-Qualität, bei der Apple-Brille sei sogar die Darstellung von Schrift in Safari scharf und glasklar, wodurch auch die Nutzung von Büroprogrammen wie Excel und Word möglich werde.
Allerdings soll es ungewohnt sein, wenn man plötzlich E-Mails in einem metergroßen schwebenden Bildschirm liest. Möglich wird die durch zwei Micro-OLED-Panels von Sony und TSMC (laut Gerüchten bis zu 350 US-Dollar teuer) mit einer Auflösung von 3400 ppi. Zum Vergleich: beim iPhone 14, bei dem einzelne Pixel schon nicht mehr zu erkennen sind, liegt sie bei 460 ppi) und eine Auflösung von etwa 3800 x 3000 Pixel pro Auge bei 90 Hz. Zusammengerechnet kommt man so auf die beeindruckende Zahl von 23 Millionen Pixel.
Da kann die Konkurrenz von Sony, Valve, Microsoft und Meta nicht mithalten. Die kommende Meta Quest 3 wird eine Auflösung von 2046 x 2208 Pixel bieten, allerdings auch nur 500 Euro kosten. Bei einer VR-/AR-Brille ist aber auch die Qualität und Art der Linsen und die Qualität des Trackings sind äußerst wichtig. So setzt etwa Sony bei seiner VR2 auf AMOLED, Meta auf Mini LED. Zukünftig könnte die unterstützte Auflösung aber sogar noch weiter steigen, hier scheint aber eher die Rechenleistung der Grafikeinheit der limitierende Faktor zu sein.
Das ist alles beeindruckend. Eine echte Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Bildschirmen lässt sich so aber (noch) nicht erreichen und das wäre eigentlich besser und bei 3500 US-Dollar muss man doch nach dem Mehrwert fragen. Ketzerisch gesagt: Kauft man für 3000 Euro zwei Studio Displays von Apple, hat man sogar 29,4 Millionen Pixel auf seinem Schreibtisch stehen. Auch das Thema Immersion sollte nicht überschätzt werden – ein Gamer, der vor seinem nicht virtuellen 37-Zoll-Bildschirm sitzt und über Stunden in Cyberpunk oder auch Harry Potter versinkt, erreicht das „Eintauchen“ auch ohne VR-Brille. Und ein wirklich guter Film kann sogar auf einem winzigen iPhone-Bildschirm fesselnd sein.

Ein eleganterer Fernseher wäre ebenfalls eine Lösung.
Samsung
Das größte Problem: Wie sieht es nach zwei Stunden Nutzung aus?
Ein weniger beachtetes Problem ist wohl die Nutzungsdauer. Wie man sich nach drei oder vier Stunden Nutzung einer Vision Pro fühlt, ist nämlich noch nicht bekannt. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn die Vision Pro wirklich herkömmliche Displays ersetzen soll. Bei einer üblichen 40-Stunden-Woche sind bei vielen Anwendern mindestens 30 Stunden reine Bildschirmarbeit, was mit einer Vision Pro nicht jeder schafft – und muss dann vielleicht doch bald zum Macbook greifen.
Die Präsentation der Brille war bei allen Teilnehmern dagegen auf magere dreißig Minuten beschränkt. Problem treten aber oft erst nach mehreren Stunden Nutzung einer AR-/VR-Brillen auf. Vor allem bei den ersten VR-Brillen bekamen bis zu 70 Prozent der Nutzer Probleme mit ihren Augen oder gar Übelkeit – auch Cybersickness genannt. Bei Frauen scheint diese „Motion Sickness“ sogar noch häufiger aufzutreten als bei Männern. Selbst gesunde junge Soldaten hatten bei Tests mit AR-Brillen so ihre Probleme.
Apples Konkurrent Microsoft hatte vor einigen Jahren einen milliardenschweren Auftrag der amerikanischen Armee für seine AR-Brille Hololens erhalten. Bei Tests klagten die Nutzer aber bald über Kopfschmerzen und Übelkeit. (Es gibt die Theorie, dass der Körper bei Wahrnehmungsproblemen dieser Art eine Vergiftung befürchtet und dem Körper Erbrechen nahelegt.)
Zugegeben: Diese Probleme treten vor allem dann auf, wenn der Nutzer, salopp gesagt, damit herumläuft. Selbstverständlich ist das auch Apple bekannt und man hat viele Gegenmaßnahmen getroffen. Die Tester und Testerinnen berichten übereinstimmend, dass das übertragene Bild der Umgebung sehr natürlich wirkt und dank der hohen Bildrate der Displays sollen bei Bewegungen kaum Wahrnehmungsprobleme auftreten. Hier hat Apple offensichtlich viel Aufwand und betrieben und keine Kosten gescheut.
Weder Verzerrungen des Bildes noch Verzögerungen sollen zu spüren sein (wenn auch gelegentlich kleinere Artefakte). Schlecht geworden ist offenbar keinem der Tester, auch von Kopfschmerzen war nichts zu hören.
Und: Wo bleibt der Mehrwert?
Das Problem für Apple: Jeder, der sich eine Vision Pro für 3500 US-Dollar kauft, kann für den gleichen Betrag ebenso gut ein Macbook, zwei 4K-Displays und ein 48-Zoll-OLED-TV kaufen. Die Brille hat außerdem ergonomische Nachteile: Sie ist groß und schwer, die Nutzung wohl doch eher stationär. Auch das Aufsetzen einer Vision Pro ist etwas völlig anderes als das Aufklappen eines Macbooks oder iPads: Für die Nutzung muss man die Brille bewusst aufsetzen und sie korrekt ausrichten – sogar um nur schnell seine E-Mails zu prüfen. Da sollte die Vision Pro einigen Mehrwert bieten, das Surfen mit Safari kann dies doch wohl nicht sein.
Beeindruckt waren Tester schließlich weniger von den Büro-Anwendungen als von anderen Nutzungszwecken der Brille, etwa bei 3D-Filmen, Simulationen (etwa einem Dinosaurier), also als Unterhaltungsgerät. Interessant ist zudem, was Apple in seiner Präsentation nicht gezeigt hat. Wie steht es mit revolutionären Spezialanwendungen für den Einsatz im beruflichen Umfeld? Etwa in der Produktion oder Forschung?
Wir waren bei der Präsentation doch überrascht, wie wenig echte AR- oder VR-Anwendungen aus diesem Bereich zu sehen waren. Als die eigentliche Stärke einer VR/AR-Brille galt ja in den letzten Jahren das Thema Immersion und die Nutzung von Augmented Reality. Letztere sollten vor allem in „ernsten“ Bereichen wie Navigation oder auch Bildung viele Vorteile bringen. Hier scheint sich der Schwerpunkt langsam eher in die Richtung “Unterhaltung” zu verlagern.
Noch vor wenigen Jahren, etwa als Apple mit der Entwicklung der Vision Pro begann, waren die Erwartungen an AR noch immens. Mittlerweile gab es aber in der Praxis viele Enttäuschungen, offensichtlich ist sowohl der Einsatz von AR als auch von AR-Brillen viel komplizierter als erwartet. Von Microsofts Problemen mit der Hololens beim Militär haben wir bereits berichtet. Auch beim Einsatz in der Logistik waren die Nutzer viel zu stark von den klobigen Geräten behindert. Und beim Erlernen von neuen Tätigkeiten kann AR laut einer überraschenden Studie sogar hinderlich sein, wenn sich Anwender zu sehr an die Unterstützung auf AR gewöhnen.
Das ist nicht als Kritik an VR und AR zu verstehen. Bei Apps wie Google Maps, Google Lens oder auch Maßband sind AR-Funktionen längst selbstverständlich und sehr nützlich, aber dies ohne AR-Brille.
Fazit
Die Vision Pro hat noch eine lange Zukunft vor sich. Wir sind aber gespannt, wie sich die Vision Pro bei längerer Nutzungsdauer schlägt und ob sie sich eher zum Produktiv- oder Konsumgerät (was ja nichts Schlechtes wäre) entwickeln wird. Es war schließlich schon oft so, dass eine neue Technologie die bestehenden Technologien nicht verdrängt, sondern eher ergänzt und bereichert hat – und das könnte auch die Rolle der Vision Pro werden.