Apples Headset Vision Pro ist nach Mac, iPhone, iPad, Apple Watch, den Airpods und dem Homepod eine neue Produktkategorie des Herstellers aus Cupertino. Mit der Brille betritt Apple einen bestehenden Nischenmarkt, auf dem sich bereits die Geräte von Microsoft und Meta tummeln – schlägt aber ganz eigene Ansätze vor. Wir haben Dr. Leif Oppermann um eine Einschätzung der Apple Vision Pro gebeten, er leitet den Bereich „Mixed and Augmented Reality Solutions“ am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in Sankt Augustin.
AR, VR, MR oder doch ER?
Wir wollten zunächst wissen, was denn genau Apples Headset ist. Denn bei der Berichterstattung und den davongegangenen Gerüchten wurden Begriffe „Augmented Reality“, „Virtual Reality“, „Mixed Reality“ in den Raum geworfen und scheinbar als Synonyme genutzt. Für Dr. Oppermann ist Apple Vision Pro ganz klar eine AR-Brille, denn diese erfüllt alle drei Anforderungen, die bereits seit Jahren als Definition für AR-Anwendungen gelten. Ronald T. Azuma hat eine AR-Anwendung noch 1997 als “dreidimensional, in Echtzeit interaktiv und als Verbindung der realen und virtuellen Elemente“ definiert.
„Mixed Reality“ als Begriff ist für Dr. Oppermann eigentlich sehr passend, aber durch das Marketing, vor allem durch Microsoft, auch leider sehr abgenutzt und verwässert. In der Deutung des Konzerns war Mixed Reality eigentlich eine erweiterte Realität, also Augmented Reality mit realen und virtuellen Komponenten im Sinne von Azuma.
Der Begriff wurde aber ursprünglich als Kontinuum zwischen Realität und virtueller Realität verwendet, und bezeichnete eigentlich nur den Grad der Vermischung der beiden Bereiche mit variablen Anteilen. Apples Brille veranschaulicht den Übergang zwischen diesen beiden Bereichen durch ihre Digitale Krone: Ein Drehen nach links oder nach rechts verändert die Umgebung von einer komplett realen, vervollständigt durch gewünschte virtuelle Informationen zu einer komplett virtuellen Umgebung, Apple nennt es „Immersion“, wobei alles Reale aus dem Sichtfeld und dem Gehör ausgeblendet ist.
Für Apples Vision hält Dr. Oppermann auch die Bezeichnung XR für richtig, diese bedeutet „Extended Reality“ und fasst AR, VR und MR zusammen.
Warum Apple Vision Pro auch Experten begeistert
Selbst für einen Wissenschaftler, der im Bereich Mixed und Augmented Reality forscht, ist Dr. Oppermann von der Apple Vision Pro geradezu begeistert. Die wenigen technischen Details, die Apple verkündet hat, können den immersiven Eindruck erzeugen. Apple hat eine Verzögerung von nur 12 Millisekunden zwischen der Erzeugung eines Bildes und dessen Darstellung versprochen, das ist eine kürzere Zeitspanne als sie ein menschliches Gehirn registrieren kann – und selbst kürzer als bei Fernsehgeräten älterer Generationen, die eine Verzögerung von 20 Millisekunden gehabt haben.
Jedoch sieht Dr. Oppermann Apples impliziertes Versprechen, Displays ganz obsolet zu machen, etwas kritisch. Zum einen verlangt Apples Brille von seinem Nutzer oder seiner Nutzerin recht viele Einschränkungen: Das Gerät ist mit rund einem halben Kilogramm Gewicht doch ziemlich schwer, es ist zu bezweifeln, dass die Nutzerschaft so eine Vorrichtung auf dem Kopf dauerhaft tragen will. Die Batterielaufzeiten im abgekoppelten Modus betragen nur zwei Stunden, ein Arbeitstag dauert dann doch etwas länger.
Nicht zu vergessen ist, dass man im Gesicht nach wie vor eine enganliegende Maske angeschnallt ist, ob sich die meisten daran gewöhnen, bleibt noch abzuwarten. Zum anderen ist die Lesbarkeit auf derartigen Displays immer ein Thema. Er sieht das Gerät daher eher als Ergänzung, denn als Ersatz für bisherige Monitore und Displays.
Im Allgemeinen ist aber Apples Vision Pro für Dr. Oppermann ein gut geschnürtes Paket, nicht übermäßig überteuert, wie die ersten Kommentare in der Presse vermuten ließen. Apple hat seiner Brille die neuesten Technologien spendiert, das kostet eben sein Geld. Zudem müsste man für den vollen Funktionsumfang erst die zweite oder die dritte Generation der Apple Vision Pro abwarten.
Auch bei seinen Erfolgsprodukten wie iPhone oder Apple Watch hat der Hersteller aus Cupertino offensichtliche Defizite behoben und notwendige Verbesserungen gebracht. Beim ersten iPhone gab es keinen GPS-Chip und kein UMTS, die Apple Watch musste auf ein LTE-Modul zwei Generationen warten.
Was Apple Vision Pro noch fehlt
Übrigens ist auch bei der Apple Vision Pro ein GPS-Modul relevant, ggf. in Verbindung mit anderen Geräten, denn Dr. Oppermann sieht im Business-Bereich einige Anwendungsfälle für Vision Pro, die recht intensiv auf die Ortskomponenten und Positionsdaten setzen. Im Baugewerbe wäre die Vision Pro ein Begleiter vom ersten Entwurf über diverse Projektphasen bis zur Fertigstellung, so könnte ein Bauleiter deutlich mobiler arbeiten, und bei manchen Aufgaben auf die virtuelle Realität setzen, statt persönlich vor Ort zu sein.
Auch für Fabrik-Mitarbeiter wäre dies eine willkommene Erweiterung: eine Fernwartung gestaltet sich einfacher, wenn der entfernte Gesprächspartner im Büro sich eine gemeinsame Sicht mit dem Kollegen an der Maschine teilt und ihm mittels XR-Techniken Hinweise zur Wartung direkt in sein Sichtfeld geben kann.
Apples Start auf dem Markt für AR- und VR-Brillen findet Dr. Oppermann positiv: Das Unternehmen war schon in der Vergangenheit dafür bekannt, Nischenmärkte für die breiten Massen attraktiv zu machen. Denn trotz der jahrzehntelangen Entwicklung sind VR- und AR-Produkte noch nicht so richtig beim breiten Publikum angekommen. Selbst bei der ersten Präsentation sieht der Experte gute Anzeichen, dass Apples Produkt sich etablieren kann: die Microsoft-Office-Produkte wie Teams, Excel und Word sind vom ersten Verfügbarkeitstag mit dabei, genauso wie die großen Videokonferenzanbieter wie Zoom und WebEx.
Wird Apple Vision Pro ein Erfolg?
Ob Apples Vision Pro tatsächlich erfolgreich wird, hängt noch von weiteren Faktoren ab: Zum einen musste der Hersteller laut Dr. Oppermann ein attraktives Ökosystem rund um das Produkt schaffen, ähnlich wie dies mit dem App Store und dem iPhone der Fall war. Eine nicht unwichtige Voraussetzung dafür sei die Offenheit der Plattform, so dass die Brille in unterschiedlichen Szenarien, auch nicht von Apple vorgesehenen, eingesetzt werden kann.
Ein Hinweis in diese Richtung sei die Ankündigung der Zusammenarbeit mit Unity, einem großen Anbieter der gleichnamigen 3D-Engine für Videospiele. Die Einstiegshürde für Dritt-Entwickler wäre bei Vision Pro niedriger, da die Spieleentwickler bereits auf Unity für andere Plattformen setzen.
Dr. Oppermann sieht die Vision Pro als aktuellen Höhepunkt der jahrzehntelangen Forschung zu AR und VR. Ob Apples Brille die Nische zu einem massentauglichen und milliardenschweren Markt machen kann, muss man noch abwarten, die AR-Forschung blickt auf mindestens zwanzig Jahre zurück, was in der Theorie zur „Long Nose of Innovation“ die Zeit dafür nun reif macht.