Sie wollen sich wie ein aus der Zeit gefallene Boomer vorkommen? Dazu müssen Sie nur versuchen, in München ein Festnetz-Telefon aufzutreiben – und zwar eins mit Kabel.
Der Hintergrund: Das Telefon in einem kleinen befreundeten Laden war plötzlich defekt und ich hatte versprochen, schnell ein neues zu besorgen. „Nein, so was haben wir nicht“, so der leicht irritierte Verkäufer im nächsten Telekom-Shop. Aber auch in einer Saturn-Filiale und bei Conrad ist kein Gerät vorrätig, offenbar kauft jeder nur noch drahtlose DECT-Geräte. Ein Tischgerät mit Kabel hat offenbar niemand mehr im Angebot und es muss dann doch im Web bestellt werden.
Dabei ist Festnetz eigentlich immer noch weit verbreitet. Laut Statista gab es 2000 noch 39,7 Millionen Festnetzanschlüsse, 2022 waren es immer noch 38,58 Millionen. Diese Zahlen vermitteln aber vielleicht ein falsches Bild – schließlich gehört zu jedem DSL-Anschluss automatisch eine Telefonnummer, die jedoch nicht immer benutzt wird. Dabei hat der Festnetz-Anschluss doch einige Vorteile.
Privat braucht man kein Festnetz mehr
Vor allem Jüngere haben in der Regel keinen Festnetzanschluss mehr. Oft fällt mit einem Umzug in eine neue Wohnung auch der alte Festnetzanschluss weg. Warum sollte man sich auch mit einem zusätzlichen Gerät herumärgern, dass man ohnehin nicht mehr benutzt?
Wenn privat überhaupt noch telefoniert wird, dann schließlich meist mit dem Smartphone über den passenden Handytarif. Vor der Einführung der IP-Telefonie hatte ein Festnetzanschluss einen großen Vorteil: Da die Telefonleitung unabhängig funktionierte, konnte man selbst bei einem Stromausfall oder Defekt des Routers problemlos telefonieren – etwa bei der Telekom nachfragen, warum das Internet nicht funktioniert.
Heute ist aber technisch (abgesehen von den ersten Metern) ein Unterschied zwischen Festnetz und Mobilfunk – und bei einem Internetausfall funktioniert auch das Telefon nicht mehr.
Im Grunde ist ein separates Festnetz-Telefon tatsächlich überflüssig. Mit einer App wie FritzFon können Sie Anrufe auf Ihre Festnetznummer nämlich einfach auf Ihr Smartphone umleiten und das Handy wie ein DECT-Telefon nutzen. Für Besitzer einer Fritzbox ist diese App also eine geniale Lösung, um kein Tischtelefon verwenden zu müssen. Dabei können Sie auch Ihr Adressbuch nutzen und die Namen von Anrufern auf dem iPhone anzeigen.
Vorteil: Zuverlässigkeit und Tonqualität
Ein Festnetz-Telefon hat einige Vorteile gegenüber einem iPhone: Dazu gehört nicht nur, dass man es bei einem Anruf nicht suchen muss. Oft ist die Tonqualität etwas besser, trotz neuer Technologien und immer besseren Handys.
Manchmal schirmt das Gebäude, in dem man lebt, den Empfang ab. Vielleicht liegt es auch an einer ungünstigen Positionierung der Mobilfunkmasten: In manchen Gebäuden wird deshalb auch in 5G-Zeiten das Telefonieren per Mobilfunk immer wieder gestört.
Das per Kabel ans Telefonnetz angebundene Telefon funktioniert im Unterschied dazu immer problemlos. Ein weiterer Grund für Festnetz waren die günstigen Kosten: Die Kosten eines Festnetzgespräches waren meist günstiger. Doch das hat sich dank immer mehr Flatrates bei Mobilfunkverträgen aber stark verändert. Da man immer öfter ein Mobiltelefon anruft, kommen diese Anrufe bei manchen Verträgen sogar teurer.
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Nachteil: Festnetznummer ist eine Einladung für Betrüger und Spam-Anrufe
Während der Mobilfunk an Attraktivität gewonnen hat, wird der Betrieb eines Festnetzanschlusses immer unerfreulicher. Oft kommen über diesen Anschluss nur noch Anrufe von Spammern, “Treueangebote” des Telekom-Anbieters, und lästige Umfragen. Hat man Pech, wird man sogar Opfer eines Schockanrufs, bei dem der Anrufer ein Familienmitglied in Not vortäuscht. Da fragt sich mancher, ob er sein Festnetzgerät nicht einfach stilllegen soll.
Handynutzer sind vor Betrugsanrufen zwar auch nicht sicher, als Nutzer einer Festnetznummer ist man aber fast schon automatisch im Fadenkreuz von Betrügern.
Bekanntlich suchen Betrüger und Spammer ihre Opfer oft im Telefonbuch bzw. in Adressverzeichnissen. So ist etwa nicht nur ein altmodischer Vorname ein Anzeichen auf ein höheres Alter, mittlerweile genügt vielleicht sogar schon ein Eintrag im Telefonbuch selbst. Mittlerweile rät sogar schon die Polizei älteren Menschen, ihren Eintrag im Telefonbuch entfernen zu lassen.
Aber das ist noch nicht alles: Ein Festnetzanschluss kann von Callcentern aus dem In- oder Ausland anonym und nahezu kostenlos angerufen werden, das Sperren einzelner Telefonnummern ist da praktisch sinnlos.
Das ist besonders lästig, wenn man ins Fadenkreuz eines ausländischen Callcenters geraten ist, das einen mehrmals unter wechselnden Nummern anruft. Bei einem Mobilfunkanschluss würden solche Anrufe schon aus Kostengründen für einen Spammer schnell teuer.
Mit Tools wie Clever Dialer gibt es zwar Apps, die bei verdächtigen Anrufen eine Warnung einblenden, leider bieten sie nur einen sehr löcherigen Schutz. (Update: Wie uns der Hersteller von Clever Dialer informierte, ist die App auch kostenlos nutzbar. In einer früheren Version des Artikels hatten wir von “kostenpflichtigen Apps” berichtet).
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Ein Telefonbucheintrag ist heutzutage fast schon eine Gefahr.
IDG
Für Firmen ist das Telefon noch immer wichtig
Firmen und kleine Geschäfte kommen natürlich auch weiterhin ohne Festnetz nicht aus – auf Wunsch ihrer Kunden. Auch in Zeiten von Whatsapp und Zoom lassen sich manche Dinge per Telefon einfach und schnell erledigen.
Viele Kunden ziehen es vor, einen ersten Kontakt per Telefon aufzunehmen. Auch eine Rückfrage ist per Telefon oft effizienter als eine unpersönliche E-Mail. Nicht ohne Grund geben Firmen viel Geld für gute Kundenverwaltungssoftware aus.
Gerade bei Terminen und Rückfragen ist ein Telefonat für den Anrufer einfach bequemer – versuchen Sie mal einen Handwerker per E-Mail mit Reparaturen zu beauftragen oder einen Zahnarzttermin per Online-Terminverwaltung zu verschieben. Kaum ein Unternehmen kann es sich außerdem leisten, auf eine seriös wirkende Firmen-Telefonnummer zu verzichten, die möglichst keine Mobilfunknummer sein sollte – das wirkt noch immer unseriös.
So bleiben zumindest Firmen und kleine Betriebe wohl noch einige Jahre auf klassische Festnetz-Telefonie angewiesen. Auch wenn sie den Anschluss natürlich gerne einsparen würden. Abgesehen von allzu redseligen Kunden werden schließlich auch hier Spam-Anrufe und Betrugsversuche immer wieder zum Problem und kosten Angestellte viel Zeit und Nerven. Selbst Angriffe auf VoIP-Systeme kommen leider vor.
Fazit: Ist ein Festnetzanschluss noch sinnvoll?
Früher galt es fast als aufdringlich, jemanden über seine Mobilfunknummer anzurufen, heute ist es selbstverständlich geworden. Ältere Verwandte und Freunde rufen zwar gerne noch lieber die Festnetznummer als eine Mobilfunknummer an, doch auch das ändert sich mittlerweile.
In Zeiten von Facebook, Telegram, LinkedIn und Whatsapp ist es schließlich viel leichter geworden, mit alten Schulfreunden oder Kollegen in Kontakt zu treten. Zumindest den Eintrag im Telefonbuch sollte man vielleicht besser entfernen lassen – und den selten genutzten Festnetzanschluss kann man vorläufig direkt auf den Anrufbeantworter umleiten – falls doch noch ein Verwandter anruft.