

Kollege Woods, ich brauche eine Zeitmaschine! Anfang 2002 habe ich einen iPod für 500 Euro erstanden, wenn ich stattdessen 25 Apple-Aktien gekauft hätte, dann hätte ich nach zwei Aktiensplits heute deren 100 und damit ein Depotvermögen von 45.000 US-Dollar! Das sind fast 35.000 Euro! Ich wüsste ja, was ich damit machen soll, Apple weiß anscheinend mit seinen Barreserven von annähernd 100 Milliarden US-Dollar noch nichts Vernünftiges anzufangen: Kaufen sie siebenmal Adobe? Retten sie Griechenland? Beglücken sie Aktionäre mit irrsinnigen Dividenden? Oder erklären sie Google jetzt wirklich den thermonuklearen Krieg um Softwarepatente? Woods, so große Zahlen bin ich gar nicht gewohnt!

Müller, darf ich raten? Sie würden sich mit Ihrem Gewinn jetzt 100 iPods kaufen? Oder halten Sie es eher mit George Best ? Hätte vor zehn Jahren jeder nur Aktien statt iPods gekauft, stünde Apple heute sicher nicht so da. Aber die schlauen Jungs in Cupertino sollten sich tatsächlich langsam fragen, was sie mit 100 Milliarden Dollar anfangen wollen. Wollen sie etwa weiterhin auf dem Geld sitzen bleiben? Bei einem Gewinn von 6,40 US-Dollar pro Aktie sollte da doch etwas Spielraum für eine schöne Dividende drin sein. Sonst bleibt die AAPL auf ewig eine Spekulationsaktie, die Anleger ständig kaufen und wieder verkaufen. Oder worauf spart Apple? Auf ein ganzes Land? Wollen sie das Silicon Valley schlucken? Mit ein paar Patentklagen und Firmenübernahmen im neunstelligen Bereich wird Onkel Cooks Geldspeicher doch nie leer. Vielleicht wollen sie ja auch den alten Traum der Apfel-Fans wahr werden lassen, kaufen den “Feind” Microsoft, um das Unternehmen in eine Gießkannenmanufaktur umzuwandeln (träumt weiter). Müller, wie viele iPods würden Sie sich eigentlich von 100 Milliarden Dollar kaufen?

Woods, Sie haben mal wieder keinen blassen Schimmer. Worin Apple seine 100 Milliarden US-Dollar investiert, wird ganz entscheidend für die Zukunft des Unternehmens werden – völlig unabhängig davon, ob Microsoft Gießkannen produziert oder Nokia wieder Gummistiefel. Den MP3-Player-Markt hat Apple abgeräumt, den Smartphone-Markt derart umgekrempelt, dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb und den für Tablets erst erfunden. Aber das ist Vergangenheit, unwiederbringlich vorbei, solange keiner eine Zeitmaschine baut. Apple muss rasch in das nächste große Ding investieren, denn irgendwann wird selbst der Tablet-Markt gesättigt sein. Und ganz von der Bildfläche verdrängen wird sich Googles Android nicht mehr lassen. Die Frage ist: Womit verdient Apple in zehn Jahren sein Geld? Und dafür muss Cook heute den Grundstein legen. Ich denke ja, dass Apple mit iCloud auf dem richtigen Weg ist: Strukturen und Dienstleistungen werden für die Kundenbindung immer wichtiger als die bloßen Produkte. Also warten Sie auf die Nachricht: “Apple baut North Carolina zu Rechenzentrum und Kraftwerk um”. Ganz North Carolina

Herr Technikutopist, ich bin im Allgemeinen sehr für Komfortfunktionen. Aber so lange meine Musik nicht einmal stabil aus iTunes Match auf mein iPhone streamt, so lange glaube und will ich nicht, dass in näherer Zukunft alle Daten zentral bei Apple gelagert sind. Da gibt es an allen Stellen noch Nachholbedarf: Bei Apples Cloud-Zuverlässigkeit, bei den Netzprovidern und schließlich bei den Schnittstellen. Oder kann Ihr Mac bereits iWork-“Documents in the Cloud” sichern, wie es laut Apples Ankündigung schon seit Monaten der Fall sein sollte? Ich glaube nicht daran, dass iCloud eine so zentrale Rolle spielen wird. Es ist und bleibt sicherlich mittelfristig ein Kunden-Bindemittel, damit die Menschen bei Apple bleiben und vielleicht weitere Geräte kaufen, weil man die so schön miteinander “syncen” kann. Umsatz macht Apple aber mit Hardware und nicht mit den Services. Schauen Sie mal: der gesamte iTunes Store mit Hunderten Millionen Nutzern und seinen Milliarden Downloads hat im vergangenen Rekordquartal kaum zwei Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Das läuft bei Apple noch nicht einmal unter “Hobby”. So viele iCloud-Server kann der Herr Eddy Cue gar nicht zusammenstöpseln, um dem Hardwareumsatz auch nur nahe zu kommen. Abgesehen davon, dass die überwiegende Mehrheit der Kunden ohnehin nur die Gratisversion derartiger Dienste in Anspruch nimmt. Das kann nicht die große Strategie sein, Kollege Müller!

Woods, oh, doch, das ist die Strategie. Natürlich wird Apple nicht den Teufel tun und sich wie ehedem IBM und nun auch HP als “Software-Company” zu begreifen, die nur noch Software, Infrastruktur und Services anbietet. Aber iCloud, iTunes und iWork – das sicher in nicht allzu ferner Zukunft genau wie die anderen Programme nahtlos seine Inhalte abgleichen wird – sind wie die Apps von Apple und Drittherstellern der Kit, der alles zusammenhält. Das ist keine Frage, sondern eines des Wissens. Der Mac als digital Hub hat ausgedient, er wird selbst zu einem Zugangsgerät für die iCloud. Und mit diesen Zusatzgeräten verdient Apple weiter sein Geld – aber nur, weil sie auf eine perfekt choreographierte Infrastruktur zugreifen. Dann und nur dann hat heuer auch der ominöse Apple-Fernseher eine Erfolgschance, denn man gibt für ihn nur dann doppelt so viel aus wie für vergleichbare Geräte der Konkurrenz, wenn er mit etwas völlig Neuem kommt. Und das werden bei allem Respekt weder das Design noch die Hardware-Features sein, sondern Software und Services. Das wird Apple aber teuer zu stehen kommen. Aber Aktionäre, die ihren Depotwert in den vergangenen Jahren verzigfacht sahen, brauchen keine Dividende, um Apple weiter die Treue zu halten. Das kann sich Apple also sparen. Bleibt die Frage, ob man nicht doch noch Griechenland kauft – oder ein osteuropäisches Land, dort sind Apple-Produkte noch recht selten.

Ach ja, der Apple-Fernseher. Wenn das ein Erfolg werden soll, muss Apple richtig viele attraktive Inhalte zu einem guten Preis in den iTunes Store bekommen, am besten als günstige Flatrate. Um die Rechteverwerter ins Boot zu bekommen und zu solchen Verträgen zu überreden, muss Apple aber richtig viele Kunden bringen und lukrative Preismodelle für die Anbieter haben. Das passt nur schwer zusammen. Das aktuelle Angebot an Serien und Filmen in Europa mit den jeweils unterschiedlichen Modellen – vieles kann man nur kaufen, nicht leihen – sieht noch nicht so aus, als gelänge Apple dieser Spagat. Ich warte schon lange auf eine solche Stream-Flatrate und Apple ist da wohl am ehesten in der Lage, alle Anbieter auf seine Seite zu ziehen. Wenn ich dafür aber einen Apple-Fernseher kaufen müsste und ein Apple TV nicht reicht, dann findet das wohl ohne mich statt. Herr Müller glauben Sie, dass eine Apple-Glotze tatsächlich alles kann, was ein heutiger Fernseher leistet? Oder haben wir dann WLAN plus einen Netzwerkanschluss für den iTunes Store und iTunes Sharing, aber keine Antennenbuchse für Kabel und Satellit? Steve Jobs hat vor wenigen Jahren noch sehr darüber abgelästert, dass man im TV-Markt mit viel zu vielen Übertragungsstandards und Formaten zu kämpfen hat.

Eben deswegen wird Apple den neuen Standard setzen! Wenn man doch nur genau wüsste, wie der aussieht. Heute raten wir Nutzern von Satellitenfernsehen, sie sollen ihre Receiver gegen digitale austauschen, möglichst HD-fähig. Was aber, wenn der Ratschlag besser lauten müsste: Leute, steigt auf das Dach, montiert die Schüssel ab, lasst Euch eine möglichst schnelle Internetleitung legen und schaut nur noch über Apple fern? Das wird die große Freiheit, wie sie Apple verspricht: Frei von Porno, frei von anderen unangemessenen Inhalten, frei von jeglicher Kompliziertheit. Und wer seine Inhalte in das Apple TV bringen will, muss in Zukunft Apple TV Author verwenden! Ich glaube ja, Apple kauft von seinem Geld halb Hollywood und sämtliche Fernsehsender der Ostküste und versorgt seine Kunden weltweit mit seinem eigenen Programm. Herrliche Zeiten stehen uns bevor, Woods!

Ein Traum, Sie machen mir Angst! Haben Sie Ihre Tabletten genommen? So absurd Ihre Vorstellung klingt, das Idealbild der TV-Landschaft sieht aus Apples Sicht vermutlich tatsächlich ungefähr so aus. Wahrscheinlich wird ein Apple-Fernseher in der Tat nicht einmal einen HDMI-Anschluss haben – damit man bloß keine Medien konsumiert, die man nicht bei Apple gekauft hat. Mit einer derartigen Produktpolitik könnte Apple vielleicht das erreichen, was bisher unmöglich schien: Dass Familien abends wieder beisammen sitzen und Spiele spielen, lesen oder sich unterhalten.

Woods, das ist eine geniale Idee! Aber das Fernsehen schafft das wohl auch ohne Apple, seine Zuseher zu vergraulen. Wenn man die Wahl zwischen Dschungelcamp, Galileo Mystery und Rosamunde Pilcher hat, kann wirklich nur zum Buch greifen, mal wieder ins Kino gehen oder sich mit der Familie beschäftigen. Aber so hat Apple das mit der TV-Revolution gewiss nicht gemeint. Wollen wir uns überraschen lassen, mit einem Touch-fähigen Telefon hatte vor fünf Jahren auch keiner gerechnet. Und wenn der Fernsehapparat aus Cupertino genau so durch die Decke geht, wird Apple in fünf Jahren mit seinen Barreserven womöglich das US-Defizit ausgleichen können. Jetzt aber eine Valium, ich bin ja schon ganz hibbelig…

Kollege Müller, Rosamunde Pilcher ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Woran man das merkt: die Folgen werden live mitgetwittert! Aber das nur am Rande. Das Schöne an Apples Geldspeicher voller Goldtaler ist ja, dass man den Medien beim Spekulieren über mögliche Investitionen zusehen kann. Facebook, Google… was wird da nicht alles in den Ring geworfen, selbst wenn es überhaupt nicht in Apples Produktpalette und Geschäftsmodell passt. Da haben wir immerhin beide etwas zu schmunzeln. Ich freue mich auf den Apple-Fernseher, meine Befürchtungen können Sie mir aber nicht nehmen, Kollege. Aber die Hoffnung auf eine schöne, faire Lösung lebt.