
Sie lieben ihn: Die Single „ 1973 “ belegt seit ihrem Erscheinen im August Platz eins in den Charts des (deutschen) iTunes Stores, das Album „ All the Lost Souls “ Anfang September erschienen, schoss von Null auf Eins um erst diese Woche von Bruce Springsteens „ Magic “ und Katie Meluas „ Pictures “ von dort verdrängt zu werden. Bisher 19 Rezensenten im iTunes Store bescherten dem Album eine durchschnittliche Wertung von viereinhalb Sternen.
Sie hassen ihn: „Schmusesänger“, „ Weinerle “, „nervigster Sänger“ und „Chris de Burgh des 21sten Jahrhunderts“ sind noch die harmloseren Schmähungen für den britischen Musiker James Blunt. Sucht man beispielsweise in der britischen Neiderlassung des Internetkaufhauses Amazon nach dem Begriff „wanker“, den wir hier aus Gründen des Anstandes nicht übersetzen wollen, erhält man als verwandte Suchbegriffe „tedious“ (lästig, langweilig) und eben „james blunt“. Wie das britische Online-Magazin „The Register“ berichtet, war es bis vor kurzem auch umgekehrt der Fall: Wer nach „james blunt“ sucht, bekam auch Suchen nach den wenig charmanten, von Nutzern generierten Synonymen „tedious“ und „wanker“. „The Register“ kann das nachvollziehen, in den letzten zwei Jahren habe ein „jaulender Sound voller Vanille-Aroma“ das Land überzogen.
Wollen wir es mal objektiv betrachten: Seit dem Überraschungserfolg „ You’re Beautiful “, dessen Herzschmerz an Larmoyanz grenzt und dem in der Telekom-Werbung bis ins Endlose gespieltem „ High “ verging kaum ein Tag, an dem im Radio nicht mindestens eine der fünf Hit-Sigles aus James Blunts Debütalbum „ Back to Bedlam “ gespielt wurde. Wer den ehemaligen britischen Offizier mit seiner markanten, sanften und – ja, gut, vielleicht auch weinerlichen – Stimme nicht mag, fühlte sich von Blunt mehr als belästigt. Aus manch genervter Schmähung spricht aber der bloße Neid: Der als „Weinerle“ abgekanzelte Barde kommt insbesondere bei Frauen gut an.
Ein überraschendes, kommerziell erfolgreiches Debüt können viele Popmusiker vorweisen, allzu oft war es das dann aber auch. Der Musikredakteur des Bayerischen Rundfunks Uli Wenger hat daraus seine Serie „ One Hit Wonder “ kreiert, die mittlerweile acht Sampler füllt. Auf James Blunt wird Wenger für die nächsten Folgen verzichten müssen. Nicht nur, weil schon die erste LP mehrere Hits produzierte, auch das zweite Album hat Potential und wird gewiss nicht das letzte erfolgreiche bleiben.
Warum Blunt gleich im Opener – und der ersten Singleauskopplung – gedanklich einen Club im Jahre 1973 besucht, wo er einst mit seiner Verflossenen tanzte, lässt Phantasie und Interpretation freien Raum – kam Blunt doch erst 1974 zur Welt. Wenngleich Blunt stets betonte, eigene Erfahrung aus Liebe und Krieg in Songtexte verfasst zu haben, das lyrische Ich muss ja nicht mit dem Selbst übereinstimmen. Für seine Kritiker, die James Blunt als larmoyanten Lammerjappen schmähen und jedes seiner Worte auf die Goldwaage legen, mag das schwer zu begreifen sein. Schon beim ersten Song lohnt sich das genaue Hinhören. Die druckvolle, melodiöse Basslinie nimmt man nur wahr, wenn man sich näher auf die Musik einlässt, als es das Radio erlaubt, das so viele Details verschluckt und so einen falschen Eindruck verschafft. Von wegen „Schmusepop“, „Zuckerguss“ oder „Gewimmere“. Sicher, die Songs würden alle auch in kleiner, sogar kleinster Besetzung funktionieren: Ein Mann und seine Gitarre. Das kann man aber auch von fast allen Beatles-Songs behaupten. Und wie die Musik der Fab Four steckt die von James Blunt voller kaum auszulotendem tiefem Einfallsreichtum in Arrangement, Harmonie und Melodie. Die Instrumentalisierung ist geradezu klassisch: Viele Gitarren, akustisch oder mit zurückhaltenden Soundeffekten elektrisch gespielt, Klavier, Schlagzeug, Bass. Kitschige Streicher oder andere „Zuckergüsse“ fehlen komplett. Zum Lagerfeuergeschrummel taugen die Songs trotz ihrer Reduzierbarkeit auf einen einfachen Kern nicht: Zu ernst die Themen, zu düster die Stimmung. Drogenkonsum, Kriegserlebnisse, Erfahrungen mit Tod und Zerstörung taugen nicht für seichte Unterhaltung. Warum aber die Sanftheit im musikalischen Arrangement mit den Inhalten der Texte dennoch zusammenpasst hat vielleicht einen einfachen Grund: Die Leute hören dann eher zu. Nicht nur Frauen.
Die Nähe zu den Beatles zeigt sich im Übrigen nicht nur in feinen Einfällen wie dem überfallartigem, aber kurzen Gitarrensolo in „ Shine On “, das auch George Harrison hätte spielen können. In „ I Can’t Hear The Music “, welches das Album nach nur zehn Songs und viel zu kurzen 39 Minuten beendet, heißt es, vierzig Jahre nach „ Sgt. Pepper “: „And I hope the lonely hearts club band will play out one last song before the sun goes down.“ Solange die Beatles im iTunes Store noch durch Abwesenheit glänzen, greifen wir gerne auf Alben wie „ All the Lost Souls “ zurück, bevor die Sonne untergeht.