
©Apple
“iMovie-On-Steroids”, “iMovie Pro” und “Final Cut Home Edition” sind nur einige der Verballhornungen, die man in einschlägigen Blogs und Foren nachlesen kann, denn Apples Final Cut Pro X ist alles, nur nicht für die professionelle Film- und Fernsehproduktion zu gebrauchen. Zu viele Funktionen fehlen, zu wenige Möglichkeiten der Projektorganisation stehen zur Verfügung. Doch wie sieht die neue Fassung wirklich im Vergleich zu Final Cut Pro 7 aus?


























Der ehemalige Browser ist der von iMovie bekannten Ereignis-Mediathek zum Opfer gefallen, die Clips erscheinen nur noch als Filmstreifen, Viewer und Canvas sind einem einzigen Vorschaufenster gewichen, und die Timeline besteht jetzt aus “Handlungen”. Material lässt sich auch nicht mehr von Band einspielen (es fehlt das “Loggen- und Aufnehmen”), sondern nur noch von bandlosen Kameras oder als Dateien importieren.

Im Gegenzug unterstützt Final Cut Pro X neue, beliebte Formate wie AVCHD oder Material von Spiegelreflexkameras (DSLR) in H.264 nativ. Weggefallen ist jedoch das RED-Format, welches vor allem in der Kino- und Werbeproduktionen häufig eingesetzt wird.
Man kann Projekte nicht mehr frei auf der Festplatte anlegen, sondern bestimmt bereits beim Import ein neues “Final Cut Pro Event” wo sowohl die Medien als auch eine “CurrentVersion” abgelegt wird. Diese wiederum stehen (bis zum Löschen) in der Mediathek zur Verfügung.
Ähnlich wie bei iMovie lassen sich importiere Clips analysieren und automatisch nach der Anzahl der Personen oder der Art der Einstellung (eine Person, eine Gruppe, Nahaufnahme, Totale) sortieren. Das klappt im Test erstaunlich gut. Außerdem kann man mehrere ähnliche Einstellungen zu “Alternativen” zusammenfassen und später in der Timeline entscheiden, welchen Clip man nutzen will.
Final Cut Pro X setzt auf Maus statt Tastenkürzel
Ähnlich wie bei iMovie arbeitet man in Final Cut Pro X nicht mehr mit gängigen In- und Out-Punkten im “Viewer”, sondern zieht auf dem Filmstreifen einen Bereich von In- bis Out auf, bevor man den Clip in die “Handlung” kopiert. Die Software unterstützt hierbei sowohl das Überschreiben als auch Einfügen zwischen zwei Clips. Neu sind das automatische Ersetzen, wenn man einen Clip auf ein bestehendes Element zieht, und das “Verbinden”, mit dem man einen Clip einem anderen Element “anheften” und diese zukünftig zusammen bewegen kann.
Beim Abspielen wählt der Anwender zwischen dem normalen “Play”-Modus (auch per Tastenkürzel JKL) und dem “Skimmen”, das heißt dem “Überfliegen” der Elemente mit der Maus.
Besonders innovativ zeigt sich Apple bei der Arbeit in der Timeline. Möchte man einen Clip an eine andere Position verschieben, “hüpfen” bestehende Elemente beiseite, um Platz zu schaffen. Auch das Trimmen gestaltet sich sehr einfach. Per Mausklick kann der Anwender Clips länger und kürzer ziehen, ohne dabei Gefahr zu laufen, andere Elemente aus der Synchronizität zu werfen, oder gar bestehende Spuren verschließen zu müssen.
Final Cut Pro zeigt über den “Präzisions-Trimmer” (Doppelklick auf die Schnittmarke) das gesamte verfügbare Material in der Timeline sowie In- und Out-Punkte in der Vorschau an.
Audio-Tricksereien

Da Final Cut Pro X keine dedizierten Audiospuren mehr bereithält, kann man Töne entweder komplett vom Videomaterial trennen, oder man “erweitert” die Darstellung in der Timeline um den Audio-Teil eines Clips, um beispielsweise vorgezogene O-Töne oder Atmos zu generieren. Audioblenden lassen sich hierbei automatisch in beliebiger Länge aufziehen. Verringert man die Lautstärke eines Clips, wird die Wellenform-Darstellung ebenfalls kleiner, wobei ein leichter Schatten im Hintergrund die Original-Lautstärke anzeigt. Pegel, die über eine bestimmte Lautstärke hinaus reichen, werden dabei in Gelb und gar rot dargestellt.
Integriert hat Apple auch eine “Audioverbesserung”, die sowohl die Loudness-Anpassung abseits des “normalen” Pegels erlaubt, als auch störende Hintergrund-Geräusche oder Brummen herausrechnet. Die Qualität ist hierbei erstaunlich gut und erinnert stark an die Fingerprint-Funktion von Soundtrack , welches dem neuen Final Cut Pro X, ebenso wie DVD Studio Pro und Color, zum Opfer gefallen ist.
Wesentlich verbessert hat Apple die Audio-Filter, die zum Teil sogar aus Logic stammen. Sie bieten allesamt eine individuelle Bedienung, die sich in Echtzeit beim Abhören bearbeiten lässt. Selbst das Vorhören einen Effekts ist möglich, indem man einen Audioclip auswählt, und mit der Maus über den Filter in der Auswahl fährt.
Korrekturen, Manipulationen und Effekte
Ähnlich wie bei den Audio-Elementen hat Apple auch bei Videoclips immer wiederkehrende Korrekturen integriert. So kann der Anwender zum Beispiel die Stabilisierung eines Clips per Mausklick hinzu schalten, die automatische Größenanpassung bei Timelines mit verschiedenen Formaten aktivieren, oder eine Ratenanpassung der Bilder pro Sekunde vornehmen. Zwar ist die Stabilisierung recht einfach anzuwenden, erreicht jedoch nicht ganz die Qualität des Stabilisators von Motion (es stehen auch weniger Einstellungen zur Verfügung).
Auch eine Farbkorrektur lässt sich aktivieren, die weitaus besser ist, als die ehemalige Drei-Wege-Korrektur der Vorgänger-Versionen. Es stehen drei Bereiche für Farbe, Sättigung sowie Belichtung zur Verfügung, die jeweils in den globalen Parametern sowie Schatten, Mitten und Licht unterteilt ist. Das führt zu sehr genauen Farbkorrekturen. Hierbei stehen Vorlagen für unterschiedliche Looks zur Verfügung. Diese lassen sich nach eigenem Gusto nachbearbeiten und wieder als Vorlage speichern.
Auch das Videoscope wurde verbessert und zeigt jetzt wesentlich detaillierter die Farb- und Helligkeitsverteilung eines Clips an.
Möchte man eine Zeitlupe in der Timeline erstellen, aktiviert man die Retime-Funktion über das Kontextmenü eines Clips und zieht diesen einfach am erscheinenden Geschwindigkeits-Griff länger oder kürzer. Zwar wird der Ton dabei ebenfalls langsamer oder schneller, die Tonhöhe allerdings verändert sich aufgrund eines intelligenten Pitch-Shifts kaum.

Auch andere Clip-Manipulationen wie Skalieren, Rotieren, Beschneiden oder Verzerren lassen sich auf recht simplem Wege durchführen, indem man das entsprechende Werkzeug im Vorschaufenster anwählt und anschließend den Clip damit bearbeitet. Wertefelder sowie die Möglichkeit, mittels Keyframes Animationen zu gestalten, stehen ebenfalls für alle Einstellungen zur Verfügung. Videoanimationen erscheinen nach Wunsch auch direkt über einem Clip in der Timeline und können dort bearbeitet werden.
Übergänge, Filter und Generatoren

Wie nicht anders zu erwarten kommt Final Cut Pro X mit jeder Menge Effekte daher: Über 50 Übergänge, über 100 Filter, über 70 vorgefertigte Titel und Texte (inklusive Drop-Zones für zusätzliches Videomaterial) sowie knapp 30 Generatoren finden sich in der Effekte-Palette.
Übergänge lassen sich per Drag-and-Drop auf eine Schnittmarke in der Timeline ziehen und dort nach Belieben verlängern/verkürzen oder verschieben. Die Blende wird sofort in Echtzeit dargestellt und später im Hintergrund gerendert.
Bevor man einen Filter anwendet, kann der Anwender den Clip in der Timeline aktivieren und mit der Maus in der Filterpalette über einen Effekt fahren; der Filter wird sofort mit dem passenden Clip im Vorschaufenster darstellt, so dass man nicht erst lange mit Effekten experimentieren muss, bevor man den richten Filter findet.
Viele Effekte, wie zum Beispiel das “Perspektive Kacheln”, lassen sich nun auch direkt im Vorschaufenster bearbeiten, oder man greift über das Effekte-Fenster auf die einzelnen Parameter zu, wo auch entsprechende Keyframes für die zeitliche Änderung bereitstehen.
Bandlos, bandlos, BANDLOS!
Durch die neue 64-Bit-Architektur nutzt Final Cut Pro X die Systemperformance weit besser aus als die Vorgängerversionen. Dies erlaubt nicht nur eine sofortige Vorschau von Effekten in Echtzeit und in bester Qualität aus der Timeline, sondern auch die Berechnung von Effekten im Hintergrund. Das Rendering startet dabei automatisch nach einigen Sekunden (Benutzer-definierbar) und zeigt den jeweiligen Status im Timecode-Fenster an. Die Berechnung ist dabei, abhängig vom Rechner, vom Effekt und vom Material, gefühlt um ein vielfaches schneller als in Final Cut Pro 7 .
Besonders bei den Ausgabeformaten hat Apple mehr als gespart: Professionelle Funktionen wie der EDL- oder OMF-Export wurden komplett weggelassen, und auch der “Schnitt auf Band”, für die Fernsehproduktion zwingend notwendig, wurden ersatzlos gestrichen. Stattdessen kann der Anwender ausschließlich über das “Bereitstellen”-Menü Filme auf DVD oder Bluray brennen, als Quicktime-Datei ausgeben, oder für das Web, im Speziellen Facebook, Youtube und Vimeo, exportieren. Außerdem besteht die Möglichkeit, einen Film an den neuen Compressor zu senden, um ihn in ein anderes Format zu wandeln.
Final Cut Pro X: Empfehlung und Fazit
Apple hat sich keinen Gefallen getan, eine eigentlich “nur” semiprofessionelle Software wie Final Cut Pro X als Nachfolger von Final Cut Pro 7 etablieren zu wollen. Obwohl Final Cut Pro X eine wirklich innovative, schnelle, umfangreiche und in weiten Teilen auch verlässliche Schnittsoftware ist, erfüllt sie doch in keiner Weise einen professionellen Anspruch. Hätte Apple das neue Final Cut Pro unter anderem Namen und als Produkt für neue Märkte angekündigt, wäre das Geschrei in der Anwender-Gemeinde sicherlich nicht so laut und nicht so berechtigt gewesen. So bleibt der fade Nachgeschmack, dass Apple keinen Wert mehr auf professionelle Anwender legen, sondern sich zukünftig ausschließlich auf i-Produkte und Heimanwender konzentrieren will. Dem Profi bleibt nichts anderes übrig, als auf funktionserweiternde Updates zu warten und weiterhin mit der veralteten 7er-Version zu arbeiten – oder gar das System zu wechseln. Avid und Adobe werden sich die Hände reiben.