
Bildbearbeitungs-, Layout- und Webdesign-Anwendungen haben im vergangenen Jahrzehnt eine hohe Verfeinerung erfahren. Funktionen für das geschmackssichere Zusammenstellen von Farben beschränken sich in der Regel darauf, digitale Farbbibliotheken von professionellen Herstellern wie etwa Pantone zur Verfügung zu stellen. Adobe hat dafür einen neuen Ansatz gewählt.
Der “Ur-Kuler”: Farbhilfe in Illustrator CS3
Nutzer von Illustrator CS3 hatten schon länger Gelegenheit, sich mit Kuler-Funktionen vertraut zu machen. Die grundlegenden Features sind im Illustrator-Bedienfeld “Farbhilfe” komplett präsent. Im Hauptfenster enthält “Farbhilfe” ein Zellenraster mit aufeinander abgestimmten Farbnuancen. Welche Farbnuancen das Zellenraster präsentiert, hängt von der Flächen- und Konturfarbe des aktuell angewählten Objekts ab und vom aktuell eingestellten “Betriebsmodus”. Über das Aufklapp-Icon links unten in der Bedienfeldleiste lassen sich unterschiedliche Farb-Pools einstellen – beispielsweise eines der aufgeführten Farbfeldersets in der Liste. Anzahl und Deutlichkeit der Abstufungen kann man über das Bedienfeldmenü regulieren. Welcher Harmonieregel das Programm dabei folgen soll, kann man über die Aufklappliste im oberen Fenster einstellen. Spätestens hier kommen dann Gestaltungsgrundsätze aus Grafikdesign und Farbharmonielehre ins Spiel: Neben “Komplementär”, “Schattierung” oder “Triade” stehen rund zwanzig weitere Farbharmonieschemata zur Verfügung.


Die wahren Kapazitäten der Illustrator-Farbhilfe zeigen sich, wenn man auf den zweiten Button von rechts in der Bedienfeld-Fußleiste klickt. Die daraufhin erscheinende Funktion “Farben bearbeiten” enthält ebenfalls die aufgeführte Liste mit den Harmonieregeln – jedoch kombiniert mit einem Kreis zur Farbauswahl sowie einem Anfasser, über den sich die eingestellte Harmonieregel innerhalb eines Farbkreises variieren lässt. Der entscheidende Vorteil: Beide Funktionen – “Farbhilfe” und “Farben bearbeiten” – ermöglichen das Abspeichern selbst angelegter Farbgruppen und deren Übertragung in das Bedienfeld “Farbfelder”.
Kuler als CS4-Erweiterung
Die CS4-Erweiterung Kuler besitzt dieselben Funktionen wie die Farbhilfe in Illustrator. Bemerkenswert sind allerdings zwei Besonderheiten. Zum einen ist der Funktionsumfang der Erweiterung in Illustrator eingeschränkt, die Funktion “Farben bearbeiten” fehlt. Da “Farben bearbeiten” bereits über das Bedienfeld “Farbhilfe” ansteuerbar ist und das Zellenraster der Farbhilfe zusätzliche Farbtonabstufungen erzeugt, sind Illustrator-Anwender nicht unter- sondern sogar überdurchschnittlich versorgt. Zweite Besonderheit ist die Architektur: Anders als die Illustrator-Farbhilfe präsentiert die Kuler-Erweiterung ihre Funktionen in einer kompakten Bedienfeldoberfläche.


Drei Knöpfe erlauben es, die jeweiligen Funktionsbereiche anzusteuern. “Info” bietet nur einige Basisinfos. “Durchsuchen”, der zweite Bereich, präsentiert eine Liste mit Farbsets, die im Internet-Bereich von Kuler zur Verfügung stehen. Der dritte Bereich “Erstellen” enthält eine abgespeckte Variante der Funktion “Farben bearbeiten” aus Illustrator. Flankierend stellt Kuler einige Funktionen zur Verfügung, über die sich vom Anwender erstellte Farbkombinationen entweder in der Farbfelderpalette des entsprechenden Programms oder aber online abspeichern lassen. Auch im Durchsuchen-Bereich sind entsprechende Sichern-Befehle präsent – dann nämlich, wenn man ein bestimmtes Farbset anklickt. Die Fußleiste der Erweiterung offeriert schließlich ein paar zusätzliche Knöpfe für das Navigieren im aufgelisteten Online-Farbfelderbestand.
Kuler als Webservice
Insgesamt erweist sich die Webanbindung der neuen CS4-Erweiterung als gut durchdachte Lösung. Verglichen mit dem Kuler-Service unter http://kuler.adobe.com bieten die gleichnamigen Erweiterungen in Photoshop, Illustrator, Indesign und Flash nur einen Bruchteil der möglichen Funktionen. Bereits der erste Blick auf das Portal des Adobe-Webdienstes überzeugt. Das Interface zur Funktion “Create” entspricht zwar weitgehend der Kuler-Funktion “Erstellen” in den CS4-Programmen. Die Einstellungsmöglichkeiten für das Anlegen harmonischer Farbsets allerdings sind weit vielfältiger. Erzeugen lassen sich Farbsets nicht nur mit Farbkreis und Harmonieregel, sondern auch aus Bildern. Der Befehl “Create > From an Image” ermöglicht das Suchen im Bildbestand des Webspace-Anbieters Flickr. Ebenso möglich ist der Upload eigener Bilder. Ob Flickr-Galerie oder Bild-Upload: Auch beim Extrahieren von Farbzusammenstellungen aus Bildern kann das Anlegen eines Farbsets nach einer Harmonieregel erfolgen oder von Hand.

Die Einstellmöglichkeiten der Webvariante von Kuler übertreffen die der CS4-Erweiterung deutlich. Der Befehl “Themes” etwa ermöglicht das Sortieren der im Kuler-Bereich präsenten Farbsets. Über “Community” kann man mehr über andere Anwender, ihre Farbsets und ihre Arbeiten erfahren. “Pulse” stellt eine alternative Erstellungsweise zur Verfügung und “Links” präsentiert, wie der Name schon vermuten lässt, weitere nützliche Links. Auch an eine Suchfunktion (“Search”) sowie das Verschlagworten von Farbsets mit nützlichen Begriffen (“Tags”) haben die Entwickler gedacht. Zum Browsen auf Kuler ist keine Adobe-ID nötig, zum Publizieren oder Herunterlagen von Farbsets im Format “.ase ” allerdings schon.
Kuler als Desktop-Anwendung
Kuler existiert auch als eigene Anwendung und kann über die URL http://www.adobe.com/de/products/kuler/ kostenlos aus dem Internet geladen werden. Verglichen mit der kompakten Funktionalität der Kuler-Erweiterung in der CS4, der ausgefeilten Farbhilfe in Illustrator oder dem umfangreichen Webdienst von Adobe ist diese Software eher Appetitanreger als ein vollwertiges Gestaltungs-Tool. Auch hier gilt: Nur wer sich anmeldet, kommt in den Genuss aller Funktionen. Ansonsten liefert Kuler Desktop ein paar nette Gimmicks und eignet sich gut zum Anlegen von Farbsets nebenher – ohne CS4-Anwendung und ohne Webbrowser.

Fazit
Die Idee, ein Farbharmonie-Tool sowohl als Programmpaketerweiterung wie auch als Online-Dienst zu etablieren, passt zum Erscheinungsbild der aktuellen CS4. Dass Adobe seine Programmpakete zunehmend mit Online-Funktionen flankiert, zeigt sich ebenso am stetig wachsenden Umfang der Adobe-Angebote online. Durch die Community hat man Zugriff auf eine Vielzahl vorhandener Farbvariationen und unzählige Farbpaletten und es besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Anwendern auszutauschen. Welchen Weg die neue Adobe-Erweiterung in der Zukunft auch nimmt – bereits jetzt genießt sie offensichtlich regen Zuspruch. Wie sich die Kuler-Technologie weiterentwickelt, bleibt eine spannende Frage – sowohl für Surfer im Web als auch für Anwender der Creative Suite.
Günter Schuler