

Nicht jede Schrift eignet sich für jedes Umfeld gleich gut. Geht es beispielsweise um die Festlegung einer Grundschrift für eine größere Textmenge, reduziert sich die Schriftauswahl drastisch. Zum Zug kommen nach wie vor klassische Serifenschriften oder nüchterne Serifenlose. Unterscheidungsvermögen bezüglich gewisser Grundstile ist hier durchaus hilfreich. Im Buchsatz etwa bestimmen nach wie vor sogenannte Old-Style- oder Renaissance-Antiquas das Bild – Schriften wie etwa Garamond, Caslon oder Bembo. Bei Zeitschriften und Werbedrucksachen hat sich eine Art Arbeitsteilung ergeben: Während im anspruchsvollen Editorial Design, in Magazinen und Tageszeitungen weiterhin Serifenschriften dominieren, kommen bei technischen Themenumfeldern und bei der Aufbereitung von Informationen oft serifenlose Schriften zum Zug. Generell gilt: Je wichtiger der Text, desto mehr sollten designerische Eigenmerkmale in den Hintergrund treten. Im Bereich der Werbung, bei Trendprodukten und Schöngeistigem relativieren sich diese strikten Vorgaben. Zwar sollte auch bei Flyer-Texten, CD-Booklets oder Anzeigen-Infos die Schrift ohne größere Schwierigkeiten lesbar sein. Die Konventionen sind hier allerdings längst nicht so rigide. Komplett andere Regeln gelten dagegen im Bereich der Headline-Gestaltung. Denn Headlines sollen nicht Aufmerksamkeit vermeiden, sondern solche geradezu auf sich ziehen.
Die passende Schrift wählen

Als Standard haben sich hier vor allem fette bis extrem fette Serifenlose etabliert. Darüber hinaus findet in dem Bereich überdurchschnittlich häufig ein dritter Grundschrift-Typ Verwendung: Serifenverstärkte, in der Branche auch unter dem Sammelbegriff Slab Serifs bekannt. Über die allgemeine Grundregel „fett fällt auf“ hinaus gilt bei Überschriften: Anything Goes – erlaubt ist, was gefällt. Aus diesem Grund halten die Schrifthersteller für den Bereich der Überschriften- und Werbeschriftzugsgestaltung eine Vielzahl unterschiedlicher Schriften bereit; von Jugendstil und historischer Referenz bis hin zu grungigem Underground-Font und trendiger Techno-Type ist so gut wie alles vertreten. Dass auch in der Anzeigen- und Flyertypografie konsequenzhaltige Fehlentscheidungen möglich sind, zeigen unsere Beispiele.

Traditionen und branchenübliche Codes sollten auch bei der Schriftwahl nicht außer Acht gelassen werden. Faustregel: Anwaltskanzleien, Beerdigungsinstitute und Firmenvisitenkarten etwa erfordern eine eher klassische, traditionelle oder nüchterne Typografie. Bei Esoterikbroschüren, Rockmusikplakaten, Techno-Flyern oder der Werbeanzeige für ein neues In-Lokal empfiehlt sich der Rückgriff auf Schriften, die den entsprechenden Stil bedienen. Wie diesen jedoch finden? An diesem Punkt setzen die unterschiedlichen Schriftklassifikationsschemata an. Als Unterbereich der allgemeinen Typografie versuchen sie, Ordnung ins Angebot zu bringen und die vielen Fonts in übersichtlichere Schubladen zu packen.
Schriftklassifkationsschemen

Stil-Einordnungen sind Ansichtssache. Aus diesem Grund existieren aktuell recht unterschiedliche Schriftklassifkationsmodelle: anwenderfreundlich-einfache, wissenschaftlich-systematische, traditionelle und moderne. Die meisten Hersteller fassen sich bei den entsprechenden Schubladen eher kurz. Font Shop, europaweit größter Distributor für Schriften, beschränkt sich auf die drei Textschrift-Grundgruppen Serif (klassische Antiquaschriften), Sans Serif (Serifenlose oder Groteskschriften) und Slab Serif (eine in sich recht heterogene Hauptgruppe, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dass die Serifen überdurchschnittlich herausgestellt, angehängt oder verstärkt wirken). Darüber hinaus gibt es für die Groborientierung vier weitere Hauptgruppen: Script (Schreibschriften von klassisch bis Freestyle), Blackletter (gebrochene Schriften: Frakturschriften sowie diverse Nebengruppen), Symbol & Ornaments sowie, für den kompletten Rest, Display. Auch andere Hersteller favorisieren entsprechend einfache Rastermodelle. Die Vorteile liegen auf der Hand: Anders als die unter Typo-Experten kursierenden Feinaufgliederungs-Systeme sind Klassifikationsschemen, die sich auf Grundgruppen beschränken, auch für typografische Quereinsteiger nachvollziehbar. Für das Treffen kompetenter Entscheidungen allerdings sind derartige Grobeinteilungen nur bedingt nützlich. Letzten Endes helfen nur zwei Dinge: Kenntnisse über die historischen Typen sowie Erfahrung und Stilsicherheit beim Umgang mit Schriften.

Stilsicherer Umgang mit Schriften lässt sich nur durch die Praxis erarbeiten. Dass kompetente Entscheidungen wiederum ein bestimmtes Fachwissen über die historisch gewachsenen Grundtypen voraussetzen, zeigt sich bereits angesichts der vielen klassischen Serifenschriften. So ist es keinesfalls gleichgültig, ob als Antiqua-Grundschrift eine Garamond, die Minion oder eine Bodoni-Variante gewählt wird. Professionelle Schriftsetzer unterteilen die klassischen Serifenschriften in drei Untergruppen: Renaissance-Antiquas, Übergangs-Antiquas und klassizistische Antiquas. Während bei den ersten beiden Gruppen oft nur Experten gravierende Unterschiede auszumachen vermögen, gelten die Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen klassizistischen Antiquas heute als zu stilisiert und für den Mengensatz folglich als ungeeignet. Praktische Folge: Für Lifestyle-Werbung und Edles sind Bodoni & Co. zwar eine gute Wahl. Der Bereich Mengentext hingegen wird zu über 95 Prozent mit Renaissance- und Übergangs-Antiquas bestritten – also Antiquaklassikern wie Garamond, Janson, Caslon, Times oder modernen Exponanten wie Minion, Sabon und Quadraat.
Serifenlose Schriften

Noch deutlicher treten die Defizite zu schablonenhaft vorgehender Klassifikationsraster bei den beiden anderen Textschrift-Hauptgruppen auf. Schriftsatz-experten untergliedern die Serifenlosen in humanistisch-renaissanceorientierte Schriften (Beispiele: Meta, Syntax, Gill Sans), geometrische Schriften (Beispiele: Bauhaus, Futura, Avant Garde) und klassizistisch zugerichtete Schriften. Zu letzteren gibt es lediglich eine Handvoll Exponate: Univers, Helvetica, Arial, die Akzidenz Grotesk sowie zwei, drei andere. Da unter Designern diese komplette Untergruppe als Sixties-Wirtschaftswunderschriften verschrien ist und geometrische Groteskschriften generell als leseunfreundlich gelten, ist bei Groteskschriften der humanistische Typ auf weiter Flur bestimmend – sowohl in der Anwendung als auch beim Angebot.
Serifenverstärkte Fonts

Bei den serifenverstärkten Slab Serifs wird es dann richtig kompliziert. Hier spielen nicht nur Stilmerkmale eine Rolle, sondern auch die Herkunft: Antiqua oder Grotesk? Während einige von ihnen (wie zum Beispiel Memphis, Rockwell oder Officina Serif) erkennbar Ableger des serifenlosen Typs sind, ähneln andere (wie zum Beispiel die Joanna oder die Scala Serif) stark klassischen Antiquaschriften. Wieder andere haben einen mehr oder weniger stark historisierenden Charakter; gängig ist für diesen Untertyp auch die Bezeichnung Egyptiennes. Beispiele: die 19. Jahrhundert-Zeitungsschrift Clarendon oder, noch stärker, die diversen Wildwest-Zierschriften. Last but not least: Als Klone aus klassischen Antiquaschriften und Serifenverstärkten können Zeitungsschriften auf eine eigene Tradition zurückblicken. Stilistisch ist das Spektrum mittlerweile zwar recht heterogen. Gefragt sind allerdings immer noch spezielle Nehmerqualitäten, konkret: eine enge, platzsparende Zeichenzurichtung sowie ein fürs grobe Papier geeigneter, robuster Figurenbau.
Vielfalt: Crossover oder Chaos?

Zusätzlich erschwert werden eindeutige Schriftzuordnungen durch den aktuellen Hang zum stilistischen Crossover. Moderne Typedesigner orientieren sich längst nicht mehr strikt an eindeutigen historischen Epochen und produzieren auch im Textschriftbereich immer mehr Schriften, die Merkmale unterschiedlicher Stilepochen und Grundtypen aufweisen. Bekannte Beispiele aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Optima und Rotis. Während die Optima als „serifenlose Serifenschrift“ im Anwendungsbereich Wellness quasi zur Standardschrift avancieren konnte, erweitert die Rotis das Konzept der Androgynen zum kompletten Schriftclan mit schrittweise abgestuften Varianten. Schriftclans oder Schriftgroßfamilien wiederum zeichnen sich dadurch aus, dass sie modifizierte Formen desselben Grundentwurfs offerieren und so nicht nur einen, sondern mehrere Grundtypen bedienen können. Vorteil: Während herkömmliche Textschriften wie etwa die Times auf einen Grundtyp festgelegt sind (in diesem Fall: Antiqua oder Serif), bieten Schriftgroßfamilien gruppenübergreifende Entwürfe aus einem Guss. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Thesis, die es in den Varianten Sans Serif, Slab Serif als Mix-Zwischenform und seit einigen Jahren sogar als Antiqua gibt.

Sind bei der Klassifizierung der drei Bodytype-Grundtypen Serif, Sans Serif und Slab Serif lediglich einzelne Detailfragen strittig, herrscht angesichts der Vielfalt an Display-, Underground- und Zierschriften weitgehende Ratlosigkeit. Zwar erheben wissenschaftliche Schriftklassifikationsentwürfe den Anspruch, auch diese Schriften auf angemessene Art und Weise einzubeziehen. Die große Frage ist allerdings, auf welche Weise. Offiziell Gültigkeit beanspruchendes Modell ist in Deutschland nach wie vor die DIN-Norm 16518. Da sich der aus dem Jahr 1964 stammende Schriftklassifikations-Oldie jedoch aus naheliegenden Gründen überlebt hat, werden in der Typografie-szene schon länger alternative Modelle diskutiert (siehe Kasten). Welches sich am Ende durchsetzen wird, und ob sich überhaupt eines davon verbindlich durchsetzt, steht gegenwärtig in den Sternen.
Fazit

Mit einer gewissen Unsicherheit müssen Typo-Anwender wohl auch weiterhin leben. Dass diese auch ihre positiven Seiten hat, zeigt ein Blick auf die historischen Vorläufer. Bereits zu der aufgeführten DIN-Norm existierten im französischen und angelsächsischen Sprachraum alternative Konkurrenten. Die Vielfalt der angebotenen Schriften ließ sich schon damals nur schwer unter einen Hut bringen. Ob Hersteller-Grobraster oder typografisch versiertes Detailschema: Im Endeffekt liefern die unterschiedlichen Klassifikationsansätze immerhin eine recht gute Stil- und Typenhilfe – für die Beantwortung der Frage nämlich, um was für eine Art von Schrift es sich bei der aktuellen Wahl eigentlich handelt.
Info: Schriftengrundtypen
In der Schriftklassifikation gelten folgende Grundtypen als weitgehend unstrittig:
Antiqua Wichtig ist die Unterteilung in ältere (Renaissance-) und neuere (klassizistischer) Antiqua. Für den älteren Typ gibt es die zusätzlichen Unterteilungen Venezianische Renaissance-Antiqua (Stempel Schneidler, ITC Weidemann), Französische Renaissance-Antiqua (Bembo, Garamond, Sabon, Janson) und Barock-Antiqua (Caslon, Baskerville, Times). Zur klassizistischen Antiqua zählen Bodoni, Didot und Walbaum.
Grotesk Detailunterteilungen: klassizistisch (Helvetica, Univers, Akzidenz Grotesk), geometrisch (Bauhaus, Avant Garde, Futura) und kalligrafisch. Zur letzten Gruppe kann man die meisten aktuellen Serifenlosen zählen, wobei die kalligrafische Anmutung schwankt zwischen zurückgenommen (Frutiger, Myriad) und deutlicher erkennbar (Gill Sans, Syntax).
Serifenverstärkt Detailunterscheidungen betonen entweder einen historischen Typ von Zeitungsschrift (Clarendon, Excelsior) oder die Tatsache, ob die entsprechende Schrift eher antiquaähnlich (Joanna, Scala Serif) oder vom Groteskmodell abgeleitet ist (ITC Officina Serif, Rockwell, Thesis/The Serif).
Schriftclans oder Schriftgroßfamilien Moderne Schriftfamilien wie Thesis, Rotis, Fago, Stone und Linotype Syntax bieten unterschiedliche Schriftvarianten (Antiqua, Serifenlos, Serifenverstärkt) in einem Schriftmodell.
Display-Schriften Unter diese Rubrik fallen einerseits stilisierte Varianten der Textschrift-Hauptgruppen, zum anderen die stark Zeitgeist-abhängigen Entwürfe. Neben aktuellen Grunge- und Techno-Entwürfen sind dieser Gruppe auch ältere Werbeschriften zuzurechnen. Western-, Jugendstil- und Art Déco-Schriften fallen ebenfalls darunter.
Schreibschriften Hier werden Schriftentwürfe einsortiert, die irgendwie „geschrieben“ aussehen. Unterteilen lassen sich diese in tradtionelle Schreibschriften (Kuenstler Script), Schreibschriften im Fünfzigerjahre-Stil sowie Handschrift-Exponate, wie sie etwa bei aktuellen Underground-Fonts gängig sind.
Monospace Schreibmaschinenschriften; Schriften mit einheitlicher Laufweite und Zeichenbreite. Bekanntestes Beispiel ist die Courier.
Historische Schriftmodelle Hierzu zählen nicht nur die auch unter der Bezeichnung „Blackletters“ firmierenden gebrochenen Schriften (historische Untertypen: Textur, Rotunda, Schwabacher und Fraktur), sondern auch die frühmittelalterlichen Unzialschriften.
Pi, Symbol & Dingbats Symbolzeichenfonts.
Info Klassifikationsmodelle
Für das Klassifizieren von Schriften gibt es sowohl betagtere Klassifikationsschemen als auch interessante neue Ansätze, die sich verstärkt auf die aktuelle Schriftensituation beziehen.
Traditionelle Schemen Offizielle Schriftklassifikation ist in Deutschland die seit 1964 bestehende DIN-Norm 16518. Sie wird heute allerdings als veraltet und aktualisierungsbedürftig angesehen. Eine Klassifikationsmethode aus dem Jahr 1954 stammt vom französischen Typografen Maximilien Vox; die von ihm entwickelten Textschrift-Gruppen Humanes, Geraldes, Réales, Didones, Mécanes und Linéales entsprechen denjenigen der deutschen DIN-Norm. Aufzuführen sind schließlich noch das 1967 entworfene britische Modell „Typeface Classifications British Standards 2961“ und das nach seinem Schöpfer Aldo Novarese benannte italienische Modell „Classificazione Novarese“ von 1957.
Herstellerschemen Die meisten Hersteller beschränken sich auf einige überschaubare Hauptgruppen. Font Shop unterteilt derzeit in folgende sieben Haupttypen: Serif, Sans, Slab, Display, Script, Blackletter sowie Symbol & Ornaments. Die Grundstruktur anderer Hersteller ist meist ähnlich.
Aktuelle Klassifikationsvorschläge Aufsehen erregte 2001 ein von dem deutschen Typografen Wolfgang Beinert entwickeltes Schema. Neben den drei Textschrift-Hauptgruppen sieht die vorwiegend auf formale Kennzeichen ausgerichtete „Matrix Beinert“ spezielle Rubriken vor für CI- und Bildschirmschriften. Ein alternatives Schema aus dem Jahr 2000 stammt vom Grafikdesigner Max Bollwage. Besonderheit: eine Art kartesisches Raster, bei dem die Stilkriterien humanistisch, klassizistisch, frei und geschrieben in den insgesamt fünf Hauptgruppen mehr oder weniger stringent wiederkehren. Den Aspekt dynamische Schriften versus statische Schriften verwendet der Typograf Hans-Peter Willberg. Seine Sichtweise orientiert sich stark an lesetypografischen Kriterien; in der Praxis entsprechen Willbergs dynamische Schriften der humanistisch-renaissancebezogenen Stilrichtung, statische hingegen der klassizistischen und geometrischen.