„Apple wird am 23. Oktober ein digitales Gerät vorstellen, das kein Mac ist,“ erklärte Apple vor gut fünfzehn Jahren in seiner Einladung an die Presse. Die nicht kleine Fraktion, die darauf hoffte, Apple würde den Personal Digital Assistent (PDA) Newton in einer modernen und diesmal erfolgreichen Fassung wiederauferstehen lassen, sah sich von dem zigarettenschachtelgroßen, schneeweißen Musikplayer, dessen Name sich einem nicht sofort erschloss, enttäuscht. Dabei war die Begründung für die Entscheidung „iPod statt Newton“ von Apple-CEO Steve Jobs klug und berührte die Lebenswelten der nach Cupertino geladenen Pressevertreter.
Denn die Mode der PDAs, die seinerzeit das Unternehmen Palm zu einem Star der Industrie gemacht hatte, war bereits wieder am Abflauen. In Meetings fanden sich wieder vermehrt Notizblöcke und Kugelschreiber auf den Konferenztischen, nachdem es immer mehr PDA-Nutzer von den digitalen Umsetzungen ihrer Eingaben auf Palm und Co gegruselt hatte. Musik ging aber immer und das nicht mehr nur auf der Stereoanlage im Wohnzimmer, sondern auch auf dem Rechner im Büro und anderswo.
Es war die Zeit von Napster, die Musik gerade zur inflationären Ware machte. Waren Tauschbörsen nun legal, illegal oder die Antwort auf diese Frage völlig egal? Musik war so beliebig verfügbar geworden, dass man für eine Stunde Streifzug durch digitale Downloadwelten eine ganze Woche gebraucht hätte, um die auf die Festplatte gebannten Dateien auch nur einmal anzuhören. Und bestand nicht andererseits der Wusch, die mühsam über Jahre und Jahrzehnte erworbene CD-Sammlung auf seinem Rechner zu lagern und überall hin mit zu nehmen, jetzt, da Speicher gemäß des Moore’schen Gesetzes so günstig geworden war, dass sogar der iMac mit 20-GB-Festplatte kam? (Wie gesagt, das war vor 15 Jahren, heutige Macs sollten schon 16 GB RAM mitbringen, um richtig zu rocken)
Entwicklung mit Weitblick
Den mobilen digitalen Musikplayer hatten vor Apple schon andere erfunden, Apple verfolgte um die Jahrtausendwende die Vision eines digitalen Lebens, in dem der Mac im Zentrum stand, als Speicherort und Verwaltungsmaschine für digitale Inhalte aller Art. Relativ spät – erst zu Beginn des Jahres 2001 – hatte Apple damit begonnen, seine Rechner mit CD- und DVD-Brennern auszustatten. Apple wäre aber nicht Apple, wenn es sich nicht durch die Software von der Konkurrenz abgehoben hätte. Daten-CDs brennen: Einfach im Finder! DVDs erstellen: Da gibt es eine simple Software namens iDVD! Die Fotosammlung kommt in iPhoto und die Musik in iTunes. Apple hatte die Jukebox-Software erst kurz zuvor übernommen, als sie noch Soundjam hieß und offenbar erst kurz vor der Keynote im Januar 2001 sich für den Namen entscheiden. Denn einmal war Jobs der Projektname „iMusic“ herausgerutscht…
iPod kommt langsam, aber gewaltig
Nach späteren Maßstäben war der iPod lange Zeit ein Flop, Apple benötigte fast zwei Jahre, um die erste Million Geräte zu verkaufen. Die Gründe waren vielfältig: Die von 9/11 ausgelöste Wirtschaftskrise war nur eine Ursache. Vor allem war der iPod mit einem Preis von rund 1000 Mark nur ein Nischenprodukt für Anwender eines Nischenproduktes – Firewire war auf Windows-Seite völlig unbekannt. Doch schon mit der zweiten Generation aus dem Jahr 2002, die bereits auf ein berührungsempfindliches und nicht mehr auf ein mechanisches Scrollrad setzte, bahnte sich der Durchbruch an, denn Apple verkaufte den iPod auch in einer USB-Version. Ab der dritten Generation von 2003 entfiel der Unterschied, der neu eingeführte Dock-Connector kam sowohl mit einem USB- als auch mit einem Firewirekabel zurecht. Im Jahr 2004 brachen aber alle Dämme: Hatte der iPod vor allen Dingen an Speicherkapazität zugelegt, war aber nicht günstiger geworden, kam mit dem iPod Mini der erste iPod für die Masse. In fünf bunten Farben und mit einem Micro-Drive im 1-Zoll-Format anstatt der bisher verwendeten 1,8-Zoll-Festplatten war der Mini der erste wirklich mobile iPod. Die Festplattengeräte waren in den Jahren seit 2001 zwar wegen der weißen Ohrhörer immer öfter auffällige Begleitung in der Stadt, für den Sport aber nur bedingt geeignet: Die Festplatte schaltet sich bei Erschütterung vernünftigerweise ab und der Pufferspeicher ist irgendwann leer, der Jogger zum Halt gezwungen.
Musikindustrie sträubt sich lange
Die Verkaufszahlen des iPod gingen aber nicht zuletzt wegen einer Innovation durch die Decke, die Apple lange mit der Musikindustrie aushandeln musste: Der iTunes Store sollte zur marktbeherrschenden Quelle für digitale Musik werden. Apples defensive Haltung in Sachen digitaler Kopie – iTunes konnte ab Werk keine Musik vom iPod zurück auf die Festplatte spielen und konterkarierte so die Unterstellung, ein trojanisches Pferd der Raubkopierer zu sein – warf Früchte ab. Eine komplette Industrie ließ sich auf ein völlig neues Geschäftsmodell ein, das sämtlichen bisherigen Vorstellungen Hohn sprach. Im iTunes Store muss keiner ein Album kaufen, wenn er nur einen oder zwei Songs haben will, genau das war einer der Gründe für die Popularität der Tauschbörsen. Genau die sah Apple als Hauptkonkurrenten für den iTunes Store an, als dieser 2003 an den Start ging, und nicht die bald folgenden Angebote von Real Networks oder Bertelsmann, das die Überreste von Napster aufgekauft hatte.
Die ängstliche Musikindustrie hatte jedoch einen Kopierschutz durchgesetzt, das war der Preis dafür, Musik so einfach wie möglich anbieten zu können: Jeder Song kostet nur 99 Cent, ein Album 9,99 Dollar. Nur auf fünf Rechnern darf man die mit Fair Play geschützten Stücke abspielen, aber auf beliebig vielen mobilen Geräten, also iPods. Wiedergabelisten darf man nicht öfter als zehn Mal brennen, das „Recht auf Privatkopie“ goss Apple in eine technische Lösung.
Auch heute schätzt nicht jeder Künstler den iTunes Store und seine zeitgemäße Weiterentwicklung Apple Music aus den beschriebenen Gründen. Wer lieber Alben verkauft – aus künstlerischen oder kommerziellen Gründen, sei dahingestellt – schätzt den Einzeldownload natürlich gar nicht und das Streamingabo noch weniger. Und dass der iTunes Store nur eine gut getarnte Tauschbörse sei, vermuteten einige Plattenfirmen und Bands selbst dann noch, als Apple zehn Millionen iPods pro Quartal verkaufte und in jedem Jahr ein Milliarde Musikdownloads. Bis zum Sommer 2011 hatte Apple insgesamt 15 Milliarden Musikdownloads verkauft, bis zum Februar 2013 waren es gar 25 Milliarden – Downloadzahlen nennt Apple nun nicht mehr. Songs können mittlerweile zwar auch 79 Cent kosten und auf Alben gar weniger, doch rechnen wir einfach mal mit bis heute durch App-Downloads generierten mehr als 25 Milliarden US-Dollar, von denen die Labels 70 Prozent einbehalten durften. Kein schlechtes Geschäft.
Die neue Welt der Musik
Das Business hat sich aber erneut massiv geändert, Kaufdownloads spielen heute ebenso wenig eine Rolle wie der auf dem Abspielgerät verfügbare Speicher – den Apple auf dem klassischen iPod von den nur damals nicht lächerlichen 5 GB auf bis zu 160 GB ausgebaut hatte. Streaming on Demand heißt nun die Formel und erneut sind Musiker skeptisch, ob sich die Bruchteile von Cent pro Stream soweit aufsummieren, dass man davon leben kann. Aber die Alternativen sind rar, das Vinyl-Revival speist sich nur aus wenigen Enthusiasten und CDs landen allenfalls mal vereinzelt als Geschenkartikel in den realen und virtuellen Einkaufskörben. Diesmal läuft Apple einem Trend hinterher, wenn auch mit einem flotten Start und großer Ausdauer. Die erneute Revolution hatte vor mittlerweile neun Jahren in Schweden mit Spotify begonnen, das heute 40 Millionen zahlenden Abonnenten eine ebenso starke Musikbibliothek anbietet. Apple Music hat seit seinem Start im Sommer 2015 aber massiv zugelegt und kommt derzeit auf 17 Millionen Abonnenten. Nun ist kein iPod mehr in der Lage, alle 40 Millionen Titel des Angebots zu speichern, nicht einmal die selbst zusammengestellten Favoriten der Anwender, die je nach Enthusiasmus schnell in die hunderttausende gehen können. Der limitierende Faktor ist nun die Internetverbindung respektive die Kosten für eine ausreichend schnelle und voluminöse unterwegs. iPhones und iPads fassen im Jahr 2016 bis zu 256 GB an Daten, weit mehr, als es der vor zwei Jahren endgültig ausrangierte iPod Classic vermochte. Nur hat heute kaum jemand mehr als die 5 GB Musik offline geladen, die auch auf den ersten iPod gepasst hatten: Es ist in Zeiten der Datenflatrates schlicht nicht mehr notwendig, mehr als das vorzuhalten.
Gerät unwichtig, der Service zählt
So hat der iPod als Gerät an Bedeutung verloren, nicht nur der im September 2014 aus den Regalen genommene iPod Classic. Der iPod Touch, so eine Art iPhone ohne Telefonfunktionen, bekam im Sommer 2015 zwar noch ein Prozessorupdate, aber iPod Nano und iPod Shuffle nur noch neue Farben, wenn auch recht schicke. Bei Apple ist zwar immer mit Überraschungen zu rechnen, so richtig glauben wir aber nicht mehr an ein neues Gerät, das in der Tradition des iPod Classic steht .
Wozu auch? Apple hat eine gewaltige Bandbreite von Geräten, die den Zweck des einstigen Shooting Stars erfüllen. Auf seine Favoriten, neue auf den Geschmack abgestimmte Playlists oder abstruse Neuerscheinungen in Apple Music hat man von überall aus Zugriff, vom Mac, vom Apple TV, von iPhone und iPad und vom iPod Touch – sogar von der Apple Watch, die mit 2 GB Speicher den klassischen iPod sogar noch unterbietet. Dass iPod Nano und iPod Shuffle keine von Apple Music ausgeliehene Musik abspielen können, sagt eigentlich schon alles über ihre verloren gegangene Bedeutung im Apple-Universum aus. Einen eigenen Posten in der Bilanz hat Apple für den iPod nicht mehr. Er steht nun neben der Apple Watch, dem Apple TV, den Beats-Produkten in der Rubrik “Sonstiges”.
Abgesang unnötig
Und doch hat der iPod seinen Niedergang überlebt, aber eben nicht als Gerät, sondern als Prinzip und als Service. Nicht mehr “1000 Songs in deiner Hosentasche” sondern “40 Millionen Songs stets verfügbar”. Und doch muss man bald nach Spuren des iPod suchen.
Das iPhone ist die Verbindung von iPod, „revolutionärem Telefon und bahnbrechendem Internetgerät“, wie es Steve Jobs im Januar 2007 seinem Publikum auf der Macworld Expo 2007 einbläute. Bis einschließlich iOS 4.x zeigte sich das bereits auf dem Display des Smartphones und des iPad: Die App für Musik, Podcasts und Videos hieß „iPod“. Im Zuge der Vereinheitlichung des Systems von iPhone, iPod Touch und iPad heißt die App nun „Musik“. Was den iPod ausgemacht hat – die einfache Bedienung, der große Speicher und vor allem die Infrastruktur im Hintergrund – ist in ein weit größeres Konzept aufgegangen. Wobei Apple gerade beim Thema “einfache Bedienung” beim Eintritt in das Zeitalter von Apple Music seine Probleme hatte. Das Thema ist gewiss komplex, aber erst 15 Monate nach dem Start des Service kann man mit den Musik-Apps auf iPhone, iPad, Mac und iPod Touch einigermaßen etwas anfangen, ohne nicht völlig zu verzweifeln.
Der iPod ist auf das Altenteil der IT-Geschichte gewandert, seine Sprösslinge prosperieren jedoch wie nie zuvor. Und gegen das Ewigkeitsproblem der ums Verrecken nicht im Ohr verbleibenden weißen Stöpsel – seit jeher der Schwachpunkt des Gesamtkonzepts – will Apple mit den AirPods jetzt eine vernünftige drahtlose Lösung gefunden haben. Irgendwie werden wir die weißen Kabel aber auch ein wenig vermissen.