Halb neun im Olympia Einkaufszentrum. Die Mühle der Espressobar vor dem neuen Apple-Store plärrt laut, aber kurz. Stufe Zwölf, der perfekte Mahlgrad. Mit einem Ruck rastet der Siebträger in der Espressomaschine ein, zwölf Bar drücken heißes Wasser durch das Pulver. Unbeirrt von den etwa Fünfhundert wartenden Menschen rundherum fließt der goldbraune Illy-Espresso mit monotonem Brummen aus der Maschine in eine vorgewärmte, weiße Tasse.
Koffein können an diesem Samstagmorgen viele der Schlange-Steher gebrauchen, denn mancher steht schon seit halb sechs Uhr an. Der Grund ist banal. Ein Laden sperrt auf, neu, und doch bekannt. Es ist Apples zwölfter Retail-Store in Deutschland, der zweite in München. “Designed by Apple in California”. So lauten die Zauberworte des Morgens, nicht nur für die Kaufwilligen in der Schlange. Sie stehen wie ein Mantra auf jedem Apple-Device, egal ob iPhone, iPad oder Mac, sind etwas Besonderes, etwas Emotionales, schlicht: Der Inbegriff einer bis ins Detail designten Marke.
„Gibt‘s hier was umsonst“, fragt eine etwa 60-Jährige Passantin, „Oder warum stehn die da alle?“ Sie schiebt ihre Brille mit dem Zeigefinger zurück auf den markanten Nasenrücken. Gute Frage. Die Frau hält Sicherheitsabstand vom Geschehen, einen Jutebeutel in der Hand. In einem lichten Seitenflügel des OEZ hat sich Apple die Ladenfläche 126 im zweiten Sock gemietet – zwischen Fielmann und einer thailändischen Garküche. Die Galerie, die die zweite Etage umgreift, ist nur drei Meter breit, eine hüfthohe gläserne Brüstung mit Edelstahl-Geländer grenzt sie vom Lichthof mit seiner Fressmeile eine Etage tiefer ab. Alle fünf Minuten beginnt dort, zwischen Vinzenzmurr und Vero Moda, ein Wasserspiel aus dem Märchen vom Froschkönig: Der Froschkönig lümmelt mit verschränkten Beinen auf seinem Marmor-Sims, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Entspannt, als würde ihn das alles nichts angehen, spuckt er hin und wieder Wasser, Strahlstärke zwei Zentimeter. Sein Blick ist auf den weiß strahlenden Apfel oben auf der Galerie gerichtet, neben ihm liegt wie im Märchen eine Kugel.
Heiß begehrt: iPhone 5S in Gold
Die ist golden, wie das neue iPhone 5S. S, wie schneller, schicker, sicherer. Zur heutigen Eröffnung bildet man nicht eine Schlange, sondern zwei. Zwei-Klassen-Warten. Die Einen stehen Links, die Event-Besucher. Die, die nur schauen und eines der begehrten Eröffnungs-T-Shirts ergattern wollen. Die Anderen, werden rechtsrum aufgereiht, die, die ihre Kreditkarten und Geldscheinbündel im Anschlag haben. Zwei Apple-Mitarbeiter, Jungs, gekleidet in ihre blauen, Apple-Store-typischen Shirts, schreiten die kaufwilligen Kunden ab, Junge, Alte, Müde und sehr Müde. Jeder der Wartenden mit Kaufwunsch erhält eine Bestellkarte für die iPhone-Wahl, so lässt sich früh sagen, welche Modelle noch verfügbar sind. Und als hätte es der Froschkönig geahnt: Das goldene Modell ist der Renner, ausverkauft. Das Wasserspiel beginnt von vorn.

Beifall. Fast synchron heben sich die Köpfe der Menschen in den Schlangen, geht’s jetzt los? Im Inneren des neuen Stores versammeln sich die Mitarbeiter, etwa Fünfzig. Sie bilden in der Mitte des Ladens einen Mannschaftskreis, wie beim Fußball. Die Kollegen beklatschen sich, peitschen sich ein. Vereinzelt dringt ein lautes „Ja, Mann!“ nach draußen. Draußen, das ist jenseits der Glasscheibe, wie im Zoo. Apple Stores haben keine Türen, keine Hindernisse. Nichts soll Menschen vom Store-Besuch abhalten. Lediglich eine dünne Glasscheibe trennt die Zootiere in Blau von den Kunden. Die Mitarbeiter bauen sich auf der inneren Seite der Scheibe auf. Applaus, diesmal nicht für einander, sondern für die Fünfhundert auf der anderen Seite der Scheibe. La Óla. Jubel, dann: kurze Stille. Eine Mitarbeiterin öffnet die gläserne Front des neuen Stores. Doch statt dem Einlauf der Kunden gibt es erst mal den Auslauf der Store-Mitarbeiter. Einer nach dem Anderen strömt aus dem Store, die Hand zum High-Five gehoben, Polonäse in Blau. Die Mitarbeiter drehen eine Ehrenrunde um die beiden Warteschlangen, etwa 4 Minuten lang. Patsch, patsch, eine Hand nach der anderen wird abgeklatscht.
„Alles Verbrecher bei Apple“, ruft da ein bärtiger älterer Herr, leicht gebückt, vor dem Eingang des Stores, „kauft’s euch was Gscheites“. In der Hand hält er ein Samsung-Telefon. Vom Störer nicht beeindruckt, führen die Store-Mitarbeiter ihre Eröffnungschoreografie fort, ihr Hochamt fürs iPhone. Das rhythmische Klatschen, immer schneller, erinnert an einen Gospel-Chor im Lobpreis-Modus. Skurril. Was für Menschen ohne Apple-Affinität Kopfschütteln oder den Gedanken an ein Sektentreffen auslöst, sorgt bei den Wartenden für Stimmung. Dazu gehören, dabei sein. Konsumfreude unchained.
Choreografierte Begrüßung
Im Innenraum stellen sich die Fünfzig Mitarbeiter zum Begrüßungs-Spalier auf. Ein junger Mann mit kurzen Haaren, keine Zwanzig, ist der erste Kunde, der hinein darf, und die Reihen der Mitarbeiter unter Jubel und Beifall abschreitet. Dabei wird er von den Frauen und Männern in Blau per Handschlag begrüßt und erhält sein Eröffnungs-Shirt. Erneut La Òla. Am Ende des Spaliers bleibt in der Mitte des Stores erstmals Zeit, das strukturierte und aufgeräumte Innenleben anzusehen. Die Echtholztische, richtige Tafeln, fein gemasert, wirken wie mit einem Präzisionslaser ausgerichtet, absolute Symmetrie. Insgesamt Zwanzig Tische stehen bestückt mit den verschiedenen Geräten im Store, die Abstände der iMacs zur Tischkante exakt festgelegt. „Einfach kein Vergleich zu einem muffigen Media Markt“ hört man einen der inzwischen grüppchenweise hinein gelassenen Kunden sagen, ebenfalls mit Eröffnungs-T-Shirt in der Hand. Neben den symmetrischen Tischen und der offenen Architektur dominiert Grau. Der Fußboden des Apple Stores besteht aus Florentiner Pietra Serena Sandstein. Die Fliesen werden aus einem individuellen Sandsteinblock geschnitten und sind exakt gleich groß, der Boden nach Maserung abgestimmt. Perfektion, mit Füßen zu treten.
Aus den Lautsprechern rocken Dave Grohls’ Foo Fighters, „All my Life“. Laut genug, um nicht jedes Geräusch zu hören und doch so leise, dass die Kunden ihre Wünsche aussprechen können. Und obwohl sich Grau in Grau langweilig und monoton anhört: Der Store ist hell, freundlich, organisch. Ein Ort, an dem nichts dem Zufall überlassen ist. Nicht mal die Verpackung der Eröffnungsshirts: Klare Linien, ein „Wow“ beim Auspacken. Geöffnet sieht die Packung aus, wie eine silberne Blume. „Hier macht es niemandem etwas aus, wenn ein Kundengespräch mal vier Stunden dauert“ sagt ein hoch aufgeschossener Specialist, „Hauptsache der Kunde ist happy.“ Dafür sorgen all die Experts, Specialists, Geniuses und Creatives. Mitarbeiter, „Designed by Apple in California.“ Denn: Nicht nur die Produkte, der Store oder die Eröffnungs-Show sind Puzzleteile im Store-Konzept. Auch die Bezeichnungen der Mitarbeiter unterstreichen das Besondere. Wenn Experts oder Specialists zum Kauf eines bestimmten Macbooks raten, ist beim Kunden kein Platz für Zweifel. Design, das funktioniert.

Darf’s a bisserl mehr sein?
Atmosphäre, Architektur, Kundenansprache. Sie gehören zur Erfolgsformel Apple Store wie die perfekte Präsentation, die Leistungsschau, das Gefühl des Haben-Wollens. Im hinteren Teil des Stores geht es an der Genius Bar genau darum. Haben wollen dort die Kunden ihre in der Schlange reservierten iPhones. Auf einem langen Tisch aufgereiht stehen die Objekte der Begierde. Die edlen iPhone 5S zuerst, daneben wie im Süßigkeiten-Laden die bonbonbunten iPhone 5C. Überwog beim Warten in der Schlange noch die Anspannung, zaubert die kleine Box mit dem neuen iPhone 5S drin dem jungen Kunden in wenigen Sekunden ein zufriedenes Grinsen auf die Lippen. Und das, obwohl er seinen Geldbeutel gerade um schmerzhafte neunhundert Euro erleichtert hat. „Brauchst du noch ne Lederhülle für dein iPhone?“ fragt ein Expert seinen Kunden. „Schon, jetzt wo du’s sagst …“.
Der Weg heraus aus dem perfekt designten Zoo-Gehege führt wieder an den Holztischen voller millimetergenau ausgerichteter Macs, iPhones und iPads vorbei. Pedantische Perfektion. Über dem Geschehen dagegen schwebt der Apfel, angebissen, mit Schönheitsfehler. Beim Schritt nach Draußen hat der junge Mann, der gerade neunhundert Euro ausgegeben hat, ein neues iPhone, eine Lederhülle, und sein schwarzes Eröffnungs-T-Shirt, Größe L, im Gepäck. Im Nacken des Shirts steht: „Designed by Apple in California.“ Auf seinen Lippen formt sich wieder ein Lächeln, Gesichts-La-Òla.