Künstlerische Filme auf Vimeo , zahlreiche professionelle Kurzfilme und viele TV-Beiträge zeigen: mit einer ganz normalen Fotokamera kann man tolle Videos produzieren. Doch die ersten eigenen Gehversuche mit der Spiegelreflexkamera zeigen: Anders als bei einem ganz normalen Camcorder sieht das zunächst nicht aus.
Es wirkt wie bei einem Heimvideo oder einer billig produzierten TV-Serie, nicht wie professionelle Kino-Optik. Was läuft hier falsch? Der Weg zu einem tollem Video-Look ist eine Wissenschaft für sich. Das Internet ist voll mit Equipmentratgebern und Kameratricks. Dabei ist das Problem meist viel grundlegender. Wir beginnen mit den Einstellungen der Kamera und den Grundlagen.

©Macwelt

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Zu scharf, zu knackig
Gute Bildqualität bei Videos bedeutet für die meisten Nutzer “scharf und knallige Farben.” Entsprechend sind die Voreinstellungen und Videoverbesserungen in aktuellen Kameras eingerichtet: Egal ob iPhone, GoPro oder DSLR-Standardoption, das Bild wird immer künstlich nachgeschärft und der Kontrast erhöht, selbst wenn die virtuellen Regler der Einstellungen so aussehen, als seien sie in neutraler Position. Für schnelle Videos, die ohne Aufwand gut aussehen sollen, ist das ein erträglicher Kompromiss. Für uns ist das aber genau falsch, denn diese nachgeschärfte Optik verstärkt den ungewünschten Camcorder-Look. Dazu neigen feine Strukturen durch die Schärfung zum hässlichen Moiré-Effekt . Der künstlich aufgeblasene Kontrast lässt wichtige Bildinformationen schon während der Aufnahme in der Kamera-Elektronik verschwinden. So verliert man einen deutlichen Teil des maximal möglichen Kontrastumfanges der Kamera.

Wenn möglich, sollte man in den Bildeinstellungen der Kamera die Schärfe und den Kontrast weit herunter drehen, auch die Farbsättigung ist meist viel zu viel des Guten. Das hat zwar zur Folge, dass unsere Videos jetzt auf den ersten Blick etwas fahl und matt aussehen, dennoch ist dieser Weg genau richtig. Denn ohne künstliche Kontrastverstärkung gehen keine Details in dunklen Bildteilen mehr verloren und wir haben viel mehr Möglichkeiten, das Bild nachträglich noch nach unserem Geschmack anzupassen. Das Bild enthält also deutlich mehr Bildinformationen als sonst, der Dynamikumfang ist deutlich höher, ähnlich wie es bei professionellen Kameras der Fall ist. Zudem kann man einem Video mit weniger satten Farben hinterher beim Schnitt noch besser die gewünschte Färbung verpassen.
Bei Kameras, die keine manuellen Bildeinstellungen haben, können Sie eventuell zumindest ein anderes Bildprofil auswählen. Voreinstellungen wie “neutral” wären dann die richtige Wahl.
Benutzer von Canon-Kameras haben es besonders gut dank der so genannten “Picture Styles”. Anwender können über die mitgelieferte Kamerasoftware eigene Farbprofile auf der Kamera speichern und dort als Voreinstellung nutzen. Findige Tüftler entwickeln Farbprofile, die das Maximum an Details enthalten. Das Farbprofil “Marvels Cine Style” von Jorgen Escher ist perfekt für Filmer und deshalb unsere Empfehlung für Canon-Nutzer.
Was Film ausmacht
Das Aussehen von Kinofilmen ist vom Zuschauer über Jahre gelernt. Er hat unterbewusste Erwartungen daran, wie eine flüssige Bewegung auszusehen hat, wie die Perspektive ist und wie Farben wirken sollten. In den Standardeinstellungen erfüllt auch eine gute Spiegelreflexkamera keine dieser Erwartungen.
Wie so oft bei Hobbys liegt der Fokus vieler Amateurfilmer auf der Ausrüstung. Ein teures Objektiv, ein semiprofessionelles Stativ oder gar Videozubehör wie eine Kameraschiene oder eine Schärfeziehvorrichtung : All das kann helfen, ersetzt aber nicht die wichtigen Grundlagen. Und viele Filmer zaubern tolle Videos auf den Schirm – ganz ohne diese teuren Extras. Schick aussehendes Video ist viel Arbeit und erfordert etwas Übung. Um damit anzufangen, führt kein Weg daran vorbei, sich mit den Grundlagen zu beschäftigen. Das bedeutet: weg mit den automatischen Korrekturen und Assistenten!
Belichtungsautomatik, Autofokus und andere Helfer stehen der Filmoptik direkt im Weg und müssen abgeschaltet werden, sorry! Wir brauchen die totale Kontrolle über unser Bild.
Grundwissen: Blende, Empfindlichkeit, Verschlusszeit
Dieses Trio bildet die Rahmenbedingungen für die Belichtung und auch für die Optik des Videos. Die Blende ist eine Art Verschlussring im Objektiv. Je weiter die Blende geschlossen ist (höhere Zahl), desto weniger Licht dringt durch das Objektiv und zudem wird der einfallende Lichtstrahl anders gebündelt. Dadurch vergrößert sich die Tiefe des Schärfebereichs. Die Empfindlichkeit (“ISO”) ist an die Lichtempfindlichkeit von analogem Filmmaterial angelehnt. Digitalkameras simulieren dies durch elektronische Lichtverstärkung am Bildsensor. Je höher die ISO-Zahl, desto mehr Licht, aber desto mehr Bildfehler in Form von Rauschen. Die Verschlusszeit ist besonders wichtig für unseren Filmlook. Je länger die Verschlusszeit, desto mehr Licht fällt auf den Sensor. Im Video-Modus wird dies besonders wichtig. Denn die Verschlusszeit ist maßgeblich dafür, wie natürlich Bewegungen aussehen. Deshalb: manuelle Belichtung, die Automatik interessiert sich im Gegensatz zu uns nur für die Helligkeit, nicht für das Aussehen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Bildrate unseres Videos. Im Kino sind es 24 Bilder pro Sekunde. Falls möglich, sollte man für Internetvideos diese Einstellung wählen, 25 Bilder pro Sekunde sind auch in Ordnung. Viele Kameras haben 30 Bilder/s als Voreinstellung. Dies ist nicht ideal, sondern entspricht dem US-TV-Format.
Damit Bewegungen gleichmäßig und für das Auge natürlich wirken, sollte der Verschluss mit der doppelten Bildfrequenz arbeiten. Bei 24 Bildern/s also 1/48s, bei 25 Bildern pro Sekunde 1/50s. Falls dies in den Einstellungen nicht möglich ist, sollte die Einstellung dieser Faustregel möglichst nahe kommen. Dies ist die klassische Verschlusszeit von Filmkameras und –projektoren. Der Unterschied zwischen der optimalen und einer frei gewählten Verschlusszeit ist manchmal dezent, manchmal sehr deutlich zu erkennen. Bewegungen können im schlimmsten Fall sehr abgehackt aussehen.
Die fixierte Verschlusszeit schränkt unsere Mittel bei der Belichtung ein. Es bleiben uns also nur noch die Blende und die Empfindlichkeit, um die Helligkeit zu regulieren. Da wir vollmanuell filmen, bedeutet dies in der Praxis viel Knöpfchenschrauberei. Dazu gerät man mit dieser vergleichsweise langen Belichtungszeit im Tageslicht schnell an die Grenzen. Bei festgelegten 1/50s Verschlusszeit muss man die Blende im Hellen weit zudrehen, was nicht immer erwünscht ist: Das Objektiv arbeitet dann nicht im optimalen Bereich und das ganze Bild ist mehr oder weniger gleich scharf, was nicht nach Film aussieht. Hier kann ein Graufilter (oder auch ND-Filter) helfen, der beeinflusst das Bild optisch nicht, sondern dunkelt es nur ab.
Wie filme ich?
Ebenfalls ganz wichtig: tolle Internetvideos entstehen nicht im Vorbeigehen im Schnappschuss-Stil. Es erfordert Überlegung und Zeit, die richtigen Perspektiven zu finden und schöne Impressionen einzufangen. Neben den Einstellungen der Kamera kommt es besonders darauf an, wie man etwas filmt und was. Verwackelte Aufnahmen aus der Distanz sehen schon auf den ersten Blick nach Amateur aus. Das Thema ist jedoch viel zu komplex für eine kurze Erklärung. Als Grundregeln: Kinofilme zeigen viele Details aus der Nähe, trennen Vorder- und Hintergrund durch Unschärfe voneinander ab. Dazu ist Film meistens statischer als eine Reportage mit Handkamera. Es darf zwar ein wenig wackeln, aber Zitterbilder sind hier tabu. Dazu sollte man darauf achten, den Zuschauer visuell zu führen, Dinge in ihrem Kontext zu zeigen.
Merkliste:

Dies sind grundlegende Einstellungen, um schon bei der Aufnahme möglichst nah an das Ergebnis einer Filmkamera zu kommen:
– Aufnahme mit 24 oder 25 Bildern pro Sekunde
– 1/48 oder 1/50s Verschlusszeit einstellen und nicht ändern
– Schärfe, Farbsättigung und Kontrast in der Kamera weit herunterdrehen oder Picture Style installieren