Es ist Heimkinoabend. Stellen Sie sich vor, Sie tippen auf den „Kino“-Knopf in einer App auf Ihrem iPhone, und wie von Zauberhand gehen im Haus Fernseher und Surround-Anlage an, die Rollläden herunter, und das Licht wird sanft gedimmt. Klingt toll, aber auch nach sündhaft teuren Gerätschaften oder vielleicht dem Haus der Zukunft, das mit teurer Technik vollgestopft ist. Von der Schweizer Aizo AG kommt mit Digitalstrom ein neues Produkt, das nicht nur der Standard für die Heimvernetzung werden möchte, sondern solche Szenarien für jedermann möglich machen will. Wir zeigen, wie es funktioniert.
So wird das Haus intelligent
Digitalstrom-Meter (4) koordiniert die Kommunikation zu den Klemmen (10, 9, 6), der Server verbindet das komplette Digitalstrom-System mit dem Internet und macht es so zum Beispiel über die App (5) im Haus oder außerhalb von jedem Ort mit Internet-Verbindung aus steuerbar. In Stehlampen können Schnurdimmer (7, 8) montiert werden, um Lichtstimmungen zu steuern.
Klemmen mit CPUs
Das Herzstück des Digitalstrom-Konzepts ist ein unscheinbarer Baustein, der aussieht wie eine etwas groß geratene Lüsterklemme. Innen steckt ein 4 mal 6 Millimeter kleiner Hochvolt-Chip, der eine ganze Menge kann: Strom schalten, dimmen oder messen, kleine Programme ablaufen lassen, Daten speichern und kommunizieren. Um mehrere Geräte zu vernetzen, wie vorhin im Beispiel Wohnzimmerbeleuchtung, TV, Rollläden und weitere, muss jedem Gerät einfach nur einer der Chips vorgeschaltet werden. Ist das – wie derzeit so gut wie immer – noch nicht ab Werk in ein Gerät eingebaut, kann mit den Klemmen nachgerüstet werden, damit der Chip vorgeschaltet ist. Die Klemmen sind nur etwas größer als reguläre Lüsterklemmen und so konzipiert, dass sie problemlos in Unterputzdosen, also den Hohlraum hinter gewöhnlichen Lichtschaltern, passen.
Das iPad als Fernbedienung fürs Heim
Mit der Gratis-App Digitalstrom Dashboard kann jeder benutzerdefinierte Handlungen und Aktivitäten für verschiedene Räume anlegen und dann per iPad, iPhone und iPod Touch seine Geräte steuern. Auch der Check von Leuchtmitteln im Baumarkt funktioniert per EAN-Scanner.
Es kann so in jedem Haus nachgerüstet werden, auch Schritt für Schritt, hinter Lichtschaltern. Die Kommunikation läuft über das Stromnetz. „Das ganze Haus kann miteinander reden, Schaltungen und gewisse Logiken abbilden“, erklärt Martin Vesper, CEO der Aizo AG, die hinter Digitalstrom steht. Durch den Chip erhalten die Klemmen – und damit die angeschlossenen Geräte – eine eindeutige Adresse im Digitalstrom-System, die mit einer MAC-Adresse vergleichbar und weltweit einmalig ist.

©Digitalstrom
Server im Stromkasten
Zweite Komponente des Systems sind Digitalstrom-Meter. Diese steuern die Kommunikation zu den einzelnen Klemmen und messen nebenbei den Stromverbrauch. Die Meter werden in den Stromkasten eingebaut und sehen ebenso wie die Klemmen unscheinbar aus. Mit ihrem Hutschienengehäuse wirken sie wie normale Komponenten im Verteilerkasten. Optional gibt es noch einen Linux-Server für den Verteilerkasten, der viele Möglichkeiten eröffnet: Er vernetzt die einzelnen Digitalstrom-Meter, gestattet die einfache Konfiguration des Smart-Home-Systems sowie die Einrichtung unterschiedlichster Komfortfunktionen. Zudem stellt er via TCP/IP eine Verbindung zum Internet her, sodass sich per Webbrowser, iPad oder iPhone auf alle Netzwerkfunktionen und Apps zugreifen lässt. iPhone und iPad werden zur universellen Fernbedienung des Hauses. So können „Szenen“ verschiedene Lichtstimmungen für Frühstück, gemütliches Dinner et cetera definieren, Rollos öffnen oder schließen, beim Klingeln die Webcam anschalten und das Bild ans Smartphone übertragen und vieles mehr. Die Möglichkeiten sind aber nicht nur auf das Haus beschränkt. „Die EAN-Nummer jeder Leuchte ist im System. Ich kann so im Baumarkt checken, ob ein Leuchtmittel zur Lampe passt“, erklärt Vesper.
Ausprobieren im Hi-Fi-Studio
Beim Fachhändler Elektro Lorentzen wurden schon viele Installationen von Digitalstrom-Anlagen für verschiedene Kunden von der Dorfkirche bis zur Hightech-Villa im Hamburg durchgeführt. Die Kunden können im Laden des Elektromeisters aus Schleswig-Holstein ein extra eingerichtetes, 26 qm großes Hi-Fi-Studio betreten, in dem das Zusammenspiel von Komponenten wie Licht, Wetterstation, Multiroom-Hi-Fi, Internet-TV, Beamer, Multimedia-Netzwerkfestplatte und
Hi-Fi-Boxen komplett vernetzt und funktionsfähig zum Ausprobieren bereitsteht.
Taster statt Lichtschalter
Weiterer Unterschied: Gewöhnliche Lichtschalter werden bei Digitalstrom durch Taster ersetzt. Sie können programmierte Szenarien abrufen. Die Taster befinden sich direkt am Gerät oder an der Wand und sehen dann wie gewöhnliche Schalter aus. Damit soll die gewohnte Bedienung der Geräte – also zum Beispiel per Lichtschalter – erhalten bleiben und die Umgewöhnung viel einfacher werden. Statt bisher nur „Ein“ und „Aus“ gibt es dann „Ich komme“ und „Ich gehe“-Taster, die je nach Programmierung alles ein- oder ausschalten und weitere Aktionen auslösen. Wenn man das Gefühl hat, das Bügeleisen angelassen zu haben, lässt sich der „Gehen“-Schalter unterwegs über die App betätigen. Das Konzept kümmert sich auch um Sicherheit: So kann zum Beispiel über den „Gehen“-Schalter jedes Mal das Herunterlassen der Rollläden ausgelöst werden, was zusätzlich gegen Einbruch schützt. Viele nutzen im Urlaub Zeitschaltuhren, um ihre Anwesenheit zu simulieren. Das kann man hier noch deutlich raffinierter gestalten, zum Beispiel per programmierte Zufallsschaltung, die den Eindruck, es sei jemand zu Hause, glaubhafter macht. Das Ein- und Ausschalten der Heizung und vieles mehr ist aus dem Urlaub möglich, wie jederzeit die komplette Überwachung des Stromverbrauchs – per App oder Webbrowser.
In Aktion: Kirche mit iPad-Steuerung
In dem kleinen Dorf Bergenhusen in Schleswig-Holstein steht „Deutschlands smarteste Kirche“, die von dem ortsansässigen Digitalstrom-Experten Elektro Lorentzen ausgestattet wurde. Mit der Digitalstrom-App auf dem iPad lassen sich Lichtstimmungen zu jedem Anlass wie „Gottesdienst mit Chor“ per Fingertipp einstellen. Zudem kann noch jede Leuchte einzeln gedimmt werden, wie für das Kreuz, den Kronleuchter, die Orgel oder das Taufbecken. Alles ist während des Gottesdienstes direkt vom iPad aus steuerbar – oder ohne Tablet per Taster. Ein Video auf Youtube zeigt die per Digitalstrom ausgerüstete Kirche in Aktion .
Klingelt jemand an der Tür, kann eine Webcam im Eingangsbereich ein Bild des Besuchers knipsen und per Mail aufs iPhone schicken. Über jedes eingeschaltete Gerät kann man sich benachrichtigen lassen. Und für den Notfall gibt es einen Panikschalter, der definierte Vorgänge auslöst – etwa die Beleuchtung komplett einschaltet, den Notruf auslöst und die Rollläden hochfährt, um sämtliche Fluchtwege freizumachen.
Installation vom Fachmann
Bleibt noch die Frage, wie die Installation vor sich geht. Digitalstrom empfiehlt, sich an einen Partnerbetrieb, also einen Elektrofachmann zu wenden. Mit ihm zusammen erstellt der Kunde eine Liste für die Geräte, die mit Digitalstrom ausgerüstet werden sollen. Der Partnerbetrieb kümmert sich dann um die Bestellung und Installation der Komponenten. Zwei wesentliche Vorteile des Systems sind, dass es zum einen bestehende Stromleitungen im Haus nutzt und zum anderen nicht gleich im kompletten Haus nachgerüstet werden muss. So kann je nach Geldbeutel Raum für Raum umgerüstet werden – ohne dass größere Baumaßnahmen nötig sind oder neue Leitungen verlegt werden müssen.
Das überzeugte sogar das Denkmalamt, als im kleinen Ort Bergenhusen in Schleswig-Holstein die alte Dorfkirche mit neuer Elektrik ausgestattet werden sollte. Den Zuschlag bekam der ortsansässige Elektro Lorentzen, da er das vorhandene Stromnetz nutzen konnte. „Das war sehr im Sinne des Denkmalamtes“, so Geschäftsführer Volker Lorentzen, der sich nach dem Projekt bundesweit und über die Landesgrenzen hinweg als Spezialist für Smart-Home-Lösungen einen Namen machte und letzten November ein komplett ausgestattetes Demo-Studio in seinem Geschäft eröffnete (siehe Kasten links). Zudem war das Konzept deutlich günstiger als die Vorschläge der Konkurrenz, obwohl es viel mehr Möglichkeiten, etwa die iPad-Steuerung, anbietet.
Inbetriebnahme und Umgewöhnung des Systems soll im „Plug-and-play“-Stil sehr einfach ausfallen, wie die bis auf den Pfarrer eher kaum technikversierten Bediensteten der Kirche, die Organisten oder der Küster, bestätigen können.
Was kostet das Nachrüsten?
Obwohl das Digitalstrom-System noch relativ gut zu überblicken und zu verstehen ist, gibt es durch verschiedene Komponenten keinen Einheitspreis. Für Interessierte hat der Anbieter einige Rechenbeispiele vorbereitet. Für einen Raum in einer Wohnung/einem Haus kostet die Ausstattung (Licht mit drei Leuchten und einem Wandtaster, Energiemessung und Visualisierung, alle Apps) zum Beispiel rund 950 Euro. Die typische 4-Zimmer-Wohnung liegt mit Licht, Gehen, Panik, Klingel, Energiemessung und Visualisierung und allen Apps bei etwa 3500 Euro. Ein ganzes Haus mit 7,5 Zimmern, Licht, Rollläden, Gehen, Panik, Klingel, Energiemessung, Stromverbrauch-Visualisierung und sämtlichen Apps wird mit zirka 8500 Euro kalkuliert.
Apps fürs Haus
Digitalstrom lässt seine Kunden nicht mit der Programmierung allein, sondern macht die Anwendung durch Apps möglichst einfach. Für fast alle gängigen Fälle gibt es kleine Programme, die sich an eigene Bedürfnisse anpassen lassen. Auf der Übersichtsseite gesellen sich zu Standards wie „Zeitschaltuhr“, „Verbrauchsanalyse“ oder „Event Mailer“ noch interessante Ideen wie „Scene Responder“, der auf das Auslösen einer Aktion mit einer anderen reagiert. So kann zum Beispiel beim Wechsel des Stockwerks automatisch das Licht in einem aus- und im anderen angehen. Mit „Benutzerdefinierte Handlungen“ können raumübergreifende Aktionen fürs ganze Haus definiert werden, zum Beispiel alle Lichter ausgehen und die Rollläden herunterfahren. Digitalstrom macht per Programmierschnittstelle auch den Weg für externe Plattformen frei. So wird jetzt schon Twitter, Facebook, Weather.com und If this then that (Ifttt) unterstützt. So lässt sich zum Beispiel automatisch auf Facebook posten, wenn ein Paket kommt, oder die Rollladen herunterfahren wenn schlechtes Wetter vom Dienst gemeldet wird. Die aktuellen Apps kratzen aber nur an der Oberfläche des Potenzials, mit dem das Digitalstrom-Konzept den Komfort zu Hause verbessern kann – man darf gespannt sein, was da in naher Zukunft noch an spannenden Ideen kommt.