Herbst 2014, irgendwo in den Redaktionsfluren der Macwelt. Eine eben veröffentlichte Meldung wird zum Anlass, die Dienstpläne für die nächste Woche anzupassen. „Am kommenden Dienstag lädt Apple die Presse zu einem Special Event unter dem Motto ‚It’s about time‘ in das Yerba Buena Center nach San Francisco. Das der Einladung beigefügte Bild zeigt stilisierte Uhrzeiger auf dem Apfel-Logo“. So oder so ähnlich wird es uns im September oder Oktober ergehen. Denn es ist an der Zeit.
Was will Apple eigentlich mit einer Uhr?
Keine Frage: Apple prosperiert auch drei Jahre nach dem Tod seines charismatischen Gründers Steve Jobs, Umsatz und Gewinn sind hoch wie nie zuvor, das iPhone ist auch sieben Jahre nach seiner Einführung ein Millionenseller und trotz stärker werdender Konkurrenz bleibt das iPad das bestimmende Gerät des Tablet-Marktes. Während der klassische PC-Markt weiter stöhnt und ächzt , hält Apple die verkauften Stückzahlen seiner Macs zumindest stabil. Der Aktienkurs hat sich längst wieder erholt und nach dem Sieben-zu-eins-Split (Nein, nicht das WM-Halbfinale…) nähert er sich wieder den Rekordwerten an. Wozu bräuchte Apple also ein neues Produkt? Ganz einfach: Die Welt der Technologie entwickelt sich weiter und was uns heute als der letzte Schrei vorkommt, wird in wenigen Jahrzehnten wie Steinzeittechnologie aussehen. Apple ist stark darin, der Schumpeter-Theorie der kreativen Zerstörung zu folgen: Um etwas Neues entstehen zu lassen, muss man das Alte hinter sich lassen. Apple nimmt dabei den Ökonomen so ernst, dass es sich sogar selbst zerstört um am anderen Ende neu zu erstehen, erklärte Anfang Juli der Analyst Horace Dediu dem Journalisten Richard Gutjahr in einem ausführlichen Interview .
Apple-Chef Tim Cook selbst betont seit Frühjahr, Apple werde in der zweiten Jahreshälfte 2014 nicht nur neue Produkte herausbringen, sondern sich auch auf Märkte wagen, auf denen das Unternehmen noch nicht aktiv ist. Zwei davon sind aufgrund ihres Wachstumspotentials bereits in den Fokus Apples geraten: Das vernetzte Heim und tragbare Kleincomputer, sogenannte Wearables. Womöglich plant Apple für beide Segmente neue Hardware und Services, die in iOS 8 integrierten Schnittstellen Homekit und Healthkit sprechen eine deutliche Sprache. Die meisten Indizien sprechen dafür, dass Apple zunächst eine intelligente Armbanduhr herausbringen wird.

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Von TAG Heuer geheuert
Eine Bestätigung Apples steht zwar noch aus, doch hat Jean-Claude Biver, Leiter der Uhrensparte des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH und verantwortlich für die Marken TAG Heuer und Zenith verraten, dass A pple den Vertriebschef der Uhrenmarke TAG Heuer Patrick Pruniaux erfolgreich abgeworben hat . Bereits im Frühjahr kursierte die Nachricht, Apple würde gezielt Manager der Schweizer Uhrenindustrie ansprechen. Der Coup mit Pruniaux weist darauf hin, dass Apple mit einer eigenen Uhr nicht nur Technik-affine Käufer im Visier hat, sondern auch Liebhaber wertvoller Uhren. Die Produkte der vornehmlicher Schweizer Industrie sind zwar völlig anders konzipiert – mechanische Uhren wird Apple kaum bauen wollen. Doch könnte Apple mit einem Prestige-Objekt um das Handgelenk der Kunden konkurrieren, meint Thomas Wanka, Chefredakteur des Uhren-Magazins. Eine direkte Überschneidung sieht er freilich nicht: “Preislagen um die 2.000 Euro gelten hier als Einstiegsklasse”. (Siehe Interview im Kasten unten)
Angeblich biss Apple bisher in der Schweiz auf Granit, Vertreter der Uhrenindustrie sollen sich über den Computerhersteller gewundert haben, was wolle Apple mit Uhren? Doch das Beispiel iPhone hat vor sieben Jahren gezeigt, dass Apple auch völlig neue Märkte auf den Kopf stellen kann. Nokia, im Jahr 2007 unumschränkter Platzhirsch des Handymarktes und Microsoft, absolute Nummer Eins bei Betriebssystemen aller Art, wissen heute ein Lied davon zu singen. Den Finnen war es nicht gelungen, eine konkurrenzfähige Antwort zum iPhone zu entwickeln, Redmond knabbert noch arg an der Fehleinschätzung seines damaligen CEOs Steve Ballmer, der das iPhone als chancenlos abtat . Die beiden Unternehmen haben sich mittlerweile zusammengetan, können den Rückstand aber nur noch schwer aufholen. Nochmals wird Apple niemand unterschätzen, weshalb die iWatch aber weit mehr zu bieten haben muss, als den guten Ruf der Marke Apple.
Kommentar: Zwei überzeugende Argumente gesucht

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Eine Armbanduhr von Apple, wie soll das gehen? Nun, damit sich eine iWatch in der Breite etabliert, muss Apple zwei Dinge grundsätzlich richtig machen:
1. Menschen, die aus Prinzip keine Armbanduhr tragen (so wie ich), müssen überzeugt werden, sich nun doch ein Stück Technik ans Handgelenk zu schnallen.
2. Menschen, die bereits eine Armbanduhr tragen, müssen überzeugt werden, diese gegen eine iWatch einzutauschen. Denn über eins sind wir uns sicher einig: Die iWatch zusätzlich zu einer wie auch immer gearteten Armbanduhr zu tragen, das wird wohl niemand ernsthaft wollen. Wenn, dann kann es nur eine geben!
Gelingen kann so etwas nur mit einem cleveren Spagat. Die iWatch muss zum einen genügend “Geek-Faktor” mitbringen, damit sich die Menschen aus Gruppe eins unbedingt eine zulegen wollen und ihre Ressentiments gegenüber Krempel am Handgelenk überwinden. Andererseits sollte sie rein optisch ausreichend “retro” sein, damit Menschen aus Gruppe 2 bereit sind, ihre angestammte Armbanduhr (die in der Regel einfach nur die Zeit anzeigt) abzulegen. Apple wäre nicht Apple, wenn es nicht genau dafür eine Lösung finden würde. Ich bin gespannt!
Christian Möller
Fitness, Sprachsteuerung und Schmuck
Der heutige Wearables-Markt mag an den für digitale Musikplayer aus den späten Neunzigern erinnern. Namhafte und weniger bekannte Hersteller wagen sich mit den unterschiedlichsten Konzepten in ein Neuland, in dem keiner die wahren Bedürfnisse der Kunden kennt, nicht einmal die selbst. Apple hat im Jahr 2001 alles richtig gemacht, indem es bestehende Konzepte geschickt miteinander verband – ein wenig Glück war auch dabei. Toshiba hatte gerade eine 5 GB fassende Festplatte im Format 1,8 Zoll entwickelt und wusste nichts damit anzufangen, bis Apple in dem Speicher den letzten Mosaikstein entdeckte, der noch zum Welterfolg iPod fehlte. Plötzlich war mit einem Gerät all das möglich, was bestehende Lösung nur teilweise konnten: Rund 1000 Songs ließen sich „in die Hosentasche“ stecken, über Firewire in vernünftiger Zeit vom Rechner kopieren und mit einer klugen Software auch in dieser Menge über ein Scrollrad und einen kleinen Bildschirm verwalten. Wenig später kam noch ein revolutionäres Vertriebsmodell für digitale Medieninhalte hinzu: Der iTunes Store.
Heutzutage versprechen Wearables die unterschiedlichsten Nutzen. Fitnessarmbänder verraten uns, wie gut wir uns bewegen oder wie schlecht wir schlafen , intelligente Uhren zeigen uns in Verbindung mit dem passenden Smartphone (und auch nur mit dem…) nicht nur die Zeit an, sondern auch, wer gerade eine Mail oder Nachricht geschickt hat oder wie das Wetter wird, andere direkt am Körper getragene Gadgets messen mit ihren Sensoren unseren Blutdruck oder Puls. Alle Geräte, vom Fuelband über die Pebble zur Galaxy Gear haben eines gemeinsam: Schick sind sie nicht. Weitere Fehler bestehen in kurzen Akkulaufzeiten – wer an Quarzuhren gewöhnt ist, will sich um deren Batterie allenfalls einmal im Jahr kümmern müssen. Wir wissen nicht, wie Apples Lösung aussieht, doch ist man vom Mac-Hersteller gewohnt, mit einem ausgereiften Produkt aufzuwarten. Deshalb hat Apple nur scheinbar noch nicht auf den getypten Wearables-Markt reagiert, der Konzern entwickelt in aller Ruhe seine iWatch , für die die Zeit bald gekommen sein wird.
Elegant in Technik und Design
Einen Fehler der versammelten Wearables-Konkurrenz wird Apple gewiss nicht wiederholen: Keine der bisher erhältlichen Smartwatches kann man guten Gewissens als Damenuhr bezeichnen. Zu „nerdig“, zu klobig, zu technikverliebt seien Galaxy Gear und Co in den Augen der Kundinnen, haben unsere Kollegen von TechHive.com recherchiert . „Frauen hat der Smartwatch-Markt mehr oder weniger komplett ignoriert,“ zitieren diese den Kreativdirektor des Uhrenherstellers Bulova Thierry Casias. Dies sei ein großer Fehler, bestätigt auch Scott B. Wolfe, Design- und Entwicklungschef von Citizen: „Sie hat genau so viel Macht über die Geldbörse wie Er.“ Frauen würden genauso Technik lieben wie Männer, wenn auch mit einem etwas anderem Ansatz. Immerhin 35 Prozent aller Käufer von Luxusuhren seien weiblich. Der Frauenanteil unter iPhone-Nutzern dürfte ähnlich hoch sein. Apple hat dabei nicht den Fehler gemacht, sich den Frauen anzubiedern, mit Rüschen, Swarowski-Kristallen oder Miniaturgeräten, wie es Hersteller anderer Technikprodukte in ihrer Unwissenheit über die wahren Anforderungen an ein Produkt verzweifelt versuchen.
Den bisher elegantesten Entwurf, die Armbanduhr mit einem Fitnesssensor zu verknüpfen hat Withings mit der für den Herbst angekündigten Activité angekündigt . Auch an Handgelenken von Frauen macht sich die Uhr gut, ohne sich anzubiedern. Eine iWatch wird freilich weit mehr können und darstellen müssen als nur die Uhrzeit und einen Wert für die tägliche Aktivität, das Design könnte aber ein Vorbild sein.
Fazit
Apple wird im Herbst endlich die iWatch vorstellen, den Wearablesmarkt neu definieren und einige Uhrenhersteller vor Probleme stellen. Wahrscheinlich ist nicht nur ein Gerät, sondern mehrere Ausführungen der iWatch, je nach deren gewünschten Einsatzzweck. Denkbar ist eine Sport- und Fitnessuhr mit Puls- und Blutdruckmesser, die mit dem iPhone eng verzahnt ist, aber dennoch eigenständig funktioniert. Denkbar ist aber ebenso eine iWatch in Luxusausführung, die auf einige Funktionen verzichtet, dafür aber mit Eleganz besticht. Die Frage wird daher im Herbst nicht lauten, welche Techniken Apple in die iWatch stopft, sondern welche nicht. Und wie elegant Apple sie miteinander verknüpft. Und dann könnte der Uhrenindustrie womöglich nach der Armbanduhr vor 100 Jahren und der Quarzarmbanduhr vor gut 40 eine weitere Umwälzung bevorstehen.
Apples Chancen in Uhrenmarkt
Thomas Wanka, Jahrgang 1962, war von 1993 bis 1995 stellvertretender Chefredakteur der Macwelt. Er ist heute Chefredakteur vom UHREN-MAGAZIN . Die erste deutschsprachige Zeitschrift zum Thema feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen.
Macwelt: Herr Wanka, welche Chancen räumen Sie Apple im (Luxus-)Uhren-Markt ein?
Thomas Wanka: Die Luxusuhr heutiger Prägung ist weniger eine Multifunktionsuhr mit Quarz-Werk sondern ein handwerklich hergestelltes, extrem filigranes Zeitmessinstrument mit mechanischem Werk und hohem Prestigewert. Da von Apple kaum eine mechanische Uhr zu erwarten ist, gibt es im Luxusmarkt keine Überschneidung. Preislagen um die 2.000 Euro gelten hier als Einstiegsklasse. Dennoch benutzen die meisten Menschen nur eine Armbanduhr und geht es um das Prestige, tritt mit Apple ein Premiumhersteller gegen Luxusanbieter den Wettbewerb um das gleiche Handgelenk an.
Wie “tickt” die Uhrenindustrie? Könnten die etablierten Markenhersteller Apple womöglich unterschätzen wie es denen aus der Mobilfunkbranche passiert ist?
Schwerlich. Beim iPhone hat Apple mit dem mobilen Internet dem Mobiltelefon eine entscheidende Funktionsausweitung hinzugefügt. Bei mechanischen Zeitmessern, wie sie fast ausnahmslos von der überwiegend Schweizer Uhrenindustrie und einigen wenigen deutschen Herstellern angeboten werden, steht die Wiederauferstehung eines fast ausgestorbenen Berufszweiges im Mittelpunkt. Der ehemalige Porschechef Wiedeking hat das einmal sinngemäß so formuliert: “Wir stellen etwas völlig überflüssiges her. Das ist gut so, denn es kann nicht durch etwas noch Überflüssigeres ersetzt werden.” Umgekehrt sind einige Luxusuhrenhersteller wie TAG Heuer oder Ulysse Nardin mit teuren Luxushandies am Markt im Grunde gescheitert oder haben das Angebot bereits eingestellt.
Wie müsste eine “intelligente Armbanduhr” gestaltet sein, damit sie nicht nur männliche Technik-Nerds anzieht?
Sie müsste etwas bieten, das Apple gut kann: Ein überlegenes Design mit hoher Wiedererkennbarkeit und Neidfaktor. Eine gute Bedienbarkeit auf kleinstem Raum, vermutlich Gesten- oder stimmgesteuert. Eine hohe Belastbarkeit im Alltag, die Beanspruchungen am Handgelenk sind nicht ohne. Aber bei echten Fans von Luxusuhren zählen auch Dinge, die Apple wirklich nicht gut (gebrauchen) kann: Exklusivität durch geringe Stückzahlen und nahezu unbegrenzte Reparierbarkeit, auch über Generationen hinweg. So lautet der Spruch von einem dem führenden Hersteller: “Eine Patek Philippe gehört einem nie ganz allein. Man erfreut sich ein Leben lang an ihr, aber eigentlich bewahrt man sie schon für die nächste Generation”