Das beweist Andrea Pejrolo vom Berklee College of Music, wo er mit dem iPad und ein paar zusätzlichen Apps eine komplette Profi-Produktion aufgenommen, produziert und gemastered hat. Hier erzählt er die Hintergründe der Entstehung und gibt Tipps für eigene Produktionen.
Andrea Pejrolo
Arbeitet als Hilfsprofessor im Lehrgang zeitgenössische Komposition und Musikproduktion am Berklee College of Music. Der Artikel bezieht sich auf eine Session die Pejrolo mit Ella Joy Meir und Michal Weiner aufgenommen, gemischt und gemastered hat – komplett nur mit dem iPad. Das Ergebnis kann sich jeder auf Soundcloud anhören , zudem gibt es ein Video von der Aufnahmesession und einen Blick hinter die Kulissen . Im Moment arbeitet Pejrolo an einem Kurs mit dem Titel „Musik schreiben und produzieren mit dem iPad“. Im Januar 2015 wird es eine Online-Version beim Berklee College of Music geben.
Das iPad ist heute ein großartiges Gerät für Musiker, die schnell und diskret Live-Musik auf ihrem Tablet aufnehmen möchten. Neulich hatte ich die Gelegenheit eine Session für Ella Joy Meir mit meinem iPad, Software und etwas Zubehör aufzunehmen und zu produzieren. In einem früheren Artikel habe ich schon einmal beleuchtet , für welche Einsatzmöglichkeiten das iPad geeignet ist und Tipps für die ersten Gehversuche gegeben. Hier soll es ans Eingemachte, also an die Aufnahme selbst und die Nachbearbeitung gehen.
Aufnehmen, schneiden und mixen
Wichtig für das Profi-Studio auf dem iPad sind ein paar zusätzliche Apps. Die erste davon ist das Recording-Tool Auria, von der es zwei Versionen gibt: Die LE-Variante kann bis zu 24 Spuren aufnehmen ( Auria LE , 21,99 Euro), die deutlich besser ausgestattete Vollversion beherrscht bis zu 48 Spuren ( Auria , 44,99 Euro).
Die Touch-Oberfläche von Auria lässt sich exzellent bedienen. Ich bin überzeugt, dass es mit den Fingern am einfachsten gelingt, zu Trimmen, zu Überblenden, Audioregionen auszuschneiden und wieder einzufügen. Dabei verschwinden die sonst üblichen Barrieren (Tastatur, Maus oder Steueroberfläche), die sonst zwischen mir und der Musik stehen, wenn ich am Computer arbeite. Aus meiner Erfahrung heraus klappt das Schneiden per Touch-Oberfläche viel schneller. Ein weiterer Vorteil von Auria sind die vielen Features beim Mixen, inklusive Plug-ins. Solche Features kennt man eigentlich nur vom Computer.

Wer meint, dass die mitgelieferten Plug-ins für den Mix nicht genug sind, kann über In-App Kauf noch zusätzliche holen. Da gibt es richtig gute Kompressoren, Reverbs für Raumhall-Simulation, Equalizer, Modulationseffekte und Amp Simulatoren von Herstellern wie FXpansion, PSPaudioware, FabFilter, Over Loud, Positive Grids und Sugar Bytes. Man kann sogar das sehr gute Schlagzeug Korrektur-Tool „Drumagog 5“ oder den Pitch-Shifter „Retune“ von Mu Technologies dazu holen. Für jeden ambitionierten Mix würde ich diese Extras empfehlen. Sie sind mit Preisen zwischen 5 bis 30 Euro absolut erschwinglich – die meisten Tools kosten um die 15 Euro. Ebenfalls dabei ist ein flexibles Signalrouting durch die Input Matrix. Das erlaubt es mir, jedes physikalische Signal, dass in mein Audio Interface reinkommt auf beliebige Audiospuren in der Software zu lenken.

Obwohl die Kombination aus iPad und Auria ein mächtiges Tool für Aufnahme und Mix bilden, bleibt noch Luft nach oben. Da es kein „Take“ oder „Playlist“-Prinzip wie in Pro Tools gibt, kann es schnell unkomfortabel werden, wenn darum geht mit mehreren Takes zu arbeiten. Das könnte momentan noch das K.O.-Kriterium für den Einsatz bei komplexeren Studio Sessions sein.
Postproduktion
Wenn es in die Postproduktion geht, ist das Mastern das entscheidende Element in jedem modernen Musikprojekt. Obwohl es möglich ist, nur mit Auria gute Resultate zu erzielen, empfehle ich dennoch ein richtiges Mastering Tool. Von Positive Grid gibt es mit Final Touch die erste richtige Mastering-App fürs iPad, die alle traditionellen Werkzeuge einer Mastering-Applikation an Bord hat.

Mit zwei Multi-Band Equalizern (einer Pre und einer Post) hat man die volle Kontrolle über den finalen Mix. Dazu gibt es Reverb, einen Multi-Band Kompressor, einen Stereo Imager und einen Maximizer. Eine gute Auswahl an Presets ist auch schon dabei, zudem kann man seine eigenen speichern. Vom Klang her ist diese Mastering App sehr robust. Natürlich kann sie nicht mit der viel professionelleren (und auch sehr viel teureren) Konkurrenz auf dem Computer a la iZotope Ozone mithalten, aber insgesamt finde ich die App einfach zu bedienen und sehr stark für die Aufnahmen mit dem iPad.
Dateiaustausch und Arbeitsablauf
Der Dateiaustausch zwischen den Apps auf der iOS Plattform kann schnell umständlich und kompliziert werden. Das weiß jeder, der schon mal ausprobiert hat, das gleiche Dokument in Pages und Word fürs iPad zu bearbeiten. In der Audioproduktion klappt das Weiterreichen jedoch überraschend gut. Die wichtigsten Audio-Apps (inklusive Cubasis, Auria und Final Touch) können Mixe und Mehrspur-Projekte an die gängigen Cloud-Dienste wie Dropbox und Soundcloud, FTP-Server (im Fall von Final Touch) , iTunes oder E-Mail schicken. Audiocopy (ein SDK, das Audio-Dateien zwischen Appsverschieben kann) ist zudem eine gute Alternative zum Cloud basierten Teilen von Mono- oder Stereo-Aufnahmen. Diese Möglichkeiten erleichtern es, Spuren und Mixe zwischen mehreren Applikationen auszutauschen.
Da man mit iOS einige Abstriche machen muss, ist es wichtig, die Sessions haarklein zu planen. In meinen Sessions erledige ich die MIDI Vorproduktion mit Cubasis . Darin speichere ich alle MIDI-Spuren (sowohl finale und auch temporäre). Cubasis bietet großartige MIDI Features und gute Audio Tools. Sobald die MIDI Spuren fertig sind rendere ich sie als Audio und exportiere sie als Audio Stems (Gruppen mit Audioquellen, die zusammen gemischt werden) nach Dropbox. Der nächste Schritt besteht darin Auria zu öffnen, eine neue Session anzulegen und dann alle vorher aus Cubasis exportierten Spuren vom Dropbox-Konto zu importieren.

In unserem Beispiel „You´ll Return“ hat mir die Sängerin Ella die temporären Spuren aus der Vorproduktion per Dropbox geschickt. Alles was ich tun musste, war sie von meiner Dropbox nach Auria zu importieren. Mit Hilfe der temporären Spuren (Schlagzeug, Piano, Bass und Gitarre) in Auria legte ich dann mit der Aufnahme los, zunächst damit, Schlagzeug und Bass in der gleichen Session zu ersetzen. Ich kann nur empfehlen, diese beiden Spuren zusammen aufzunehmen, das gibt am Ende einen viel besseren Groove. Das Schlagzeug haben wir hinter einen schallisolierenden Raumteiler gestellt, um die Aufnahmen besser separat bearbeiten zu können. Dann kamen die Background und schließlich die Lead Vocals an die Reihe. Die Nachbearbeitung wurde komplett in Auria und das Mastern in Final Touch erledigt. Aus Final Touch herau, war es ein Kinderspiel, den finalen Mastermix auf Soundcloud hochzuladen, wo ihn nun jeder anhören kann .
Nach jedem Tag im Studio habe ich mit PhoneView, einem Mac-Hilfsprogramm von Ecamm Network (30 Dollar), ein Backup erstellt. Mit Phoneview ist es möglich, den Inhalt der Pakete, die auf den iOS-Geräten installiert sind, auf dem Mac zu sehen. Die Aufnahmen liegen einfach im „Documents“-Ordner innerhalb des Auria-Pakets. Um ein Backup zu erstellen, ziehe ich also einfach den Ordner der aktuellen Session auf die Mac-Festplatte.
Das iPad als Profi-Musikplattform der Zukunft?
Als Aufnahmegerät für ganze Bands ist das iPad vielleicht noch nicht das Allheilmittel, aber ich bin immer wieder erstaunt von der Qualität und Quantität der Projekte, die mit diesem kleinen Ding möglich sind. Außerdem bin ich überzeugt, dass ein paar Grenzen und Beschränkungen uns helfen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und so unsere Kreativität zu beflügeln. Insgesamt sehe ich das iPad auf jeden Fall als die Plattform der Zukunft für die professionelle Musikproduktion. Man muss sich auch im klaren sein, dass dieses Tool aktuell gerade mal im Stadium des Krabbelns ist. Aus meiner Sicht gibt es aber keinen Zweifel daran, dass die Zukunft der Kreativität in Sachen Musikproduktion genau hier liegt. Das Baby krabbelt mit hoher Geschwindigkeit Richtung Erwachsen werden!
Tipps und Tricks für die erfolgreiche Aufnahmesession
– Maximale Batterielaufzeit: Am besten lädt man das iPad vor der Aufnahmesession komplett auf. Wi-Fi und Bluetooth am besten ausschalten und die Helligkeit sollte man ebenfalls so weit wie möglich reduzieren, um den Akku zu schonen.
– Kurz zuvor iPad neu starten: Das iPad sollte natürlich keine Prozessorleistung für noch im Hintergrund laufende Apps verschwenden. Ein Neustart des iPad kurz vor der Session stellt sicher, dass nichts Unnötiges im Hintergrund läuft.
– Alle unnötigen Apps beenden: Apps die nicht zur Aufnahme gebraucht werden, müssen bei der Session nicht aktiv sein. Andere Apps die irgendwelche Hilfsmittel liefern wie Stimmgeräte, Lyrics usw. können auch auf dem iPhone laufen. Für alle anderen auf dem iPad gilt: Doppelt den Home-Button drücken, um den Multitasking-Bildschirm aufzurufen und nicht gebrauchte Apps nach oben wischen, um sie zu beenden.
– Automatische Sperre aus: Während der Session sollte der iPad-Bildschirm sich nicht sperren. Über „Einstellungen > Allgemein > Automatische Sperre“ kann das iPad auf „Nie“ eingestellt werden.
– Der Raum macht die Musik: Der Raum in dem man aufnimmt hat große Auswirkungen auf den Klang des Endergebnisses. Für „You´ll return“ konnte ich zum Glück eine der neuen Produktionseinrichtungen am Berklee College of Music in Boston nutzen.
– Backup von der Session erstellen: Nach einem langen Tag im Studio sollte man sich noch die Zeit nehmen mit einem Programm wie Ecamm Networks PhoneView ein Backup der Aufnahmen am Mac zu erstellen.