Apple hat einen langfristigen Plan für die Weiterentwicklung des iPhone. Alle zwei Jahre gibt es ein neues Gehäuse, in der Regel noch schlanker und leichter und mit veränderten Bildschirmmaßen, in den Jahren dazwischen verbessert Apple Kamera und Leistung und baut noch einige Features ein, die den Unterschied machen. Der Zweijahresrhythmus kommt denen entgegen, die sich ihr Telefon vom Mobilfunkprovider subventionieren lassen. Für Technikjunkies, die jedes Jahr ein neues Modell haben wollen, bietet nun auch Apple – wie zuvor schon einige Provider – zunächst in den USA eine Art iPhone-Leasing an. Denn die Verbesserungen der “S”-Modelle locken auch diejenigen, die ein erst ein Jahr altes iPhone haben.
Im Vorfeld der Keynote hatte sich bei Analysten Skepsis breit gemacht: Würde Apple wieder ein Must-Have-iPhone vorstellen, das sich besser als seine Vorgänger verkauft? Oder zeigen Tim Cook und Kollegen nur mäßig neuen Wein in alten Schläuchen, also ein äußerlich unverändertes Smartphone, das kaum messbare Speedvorteile bringt? Würde dann erstmals ein neues iPhone keine neue Verkaufsrekorde setzen?
Diese Befürchtung befeuert auch die Tatsache, dass Apple seine Joker schon alle ausgespielt hat. Erst seit zwei Jahren kann Apple ein neues iPhone schon zum Verkaufsstart auch in China an die Kunden bringen, das iPhone 6 konnte im Vorjahr Apple dann auch erstmals schon beim Verkaufsstart über den größten Provider des Landes China Mobile anbieten. Exorbitantes Wachstum in China war die Folge. Nun stößt aber die chinesische Volkswirtschaft insgesamt an die Grenzen des Wachstums (siehe unter anderem Süddeutsche Zeitung vom 11. September: Träumt weiter ), sondern hat nun Apple das Problem, von einer starken Position zu einer noch stärkeren gelangen zu müssen, um Wachstumsraten wie in der Vergangenheit zu zeigen. Vielleicht werden das iPhone 6S und iPhone 6S Plus nicht bisherige Rekorde pulverisieren, aber Apple hat sehr wohl beste Chancen, erneut den Absatz zu steigern. Warum? Weil das “S” weit mehr bedeutet als bloßen Geschwindigkeitszuwachs.
Das hat Historie – und damit gewiss auch Methode. Wir erinnern uns: Das iPhone 3GS kam im gleichen Gehäuse wie das 3G, das ein Jahr zuvor mit UMTS- und GPS-Chips das iPhone gleich auf ein neues Niveau gehoben hatte. “S stands for speed” behauptete Apple zurecht, doch wurde auch die Kamera deutlich besser und mit dem Gyroskop kam ein neuer Sensor hinzu. 3G-Nutzer hätten ihr auf einmal veraltetes iPhone am liebsten sofort eingetauscht.
Ähnlich wird es Nutzern des iPhone 4 gegangen sein, als Siri auf dem iPhone 4S Einzug hielt. Zudem bekam das “S”-Modell aus dem Jahr 2011 ein verändertes Antennendesign gegen den gefürchteten “Grip of death”. Schließlich wartete zwei Jahre später das iPhone 5S mit einem Fingerabdrucksensor auf, der seitdem auch Standard für neue Modelle von iPhone und iPad ist.
“Es hat sich nichts geändert. Nur alles.” nimmt Apple in seiner Werbung für das iPhone 6S die erwartete Reaktion der Szene auf, schon auf der Keynote ließ Tim Cook den Spruch los. Und in der Tat bringt das iPhone 6S Neuerungen, die das iPhone 6 nun ganz schön alt aussehen lassen. Das Potential von 3D Touch ist noch nicht auf dem ersten Blick ersichtlich, doch wird die Technologie die Art, wie Nutzer mit ihrem Smartphone umgehen, erneut ändern. Die Force-Touch-Variante führt über eine Art von Kontextmenüs schneller zum Ziel, App-Entwickler haben nun Gelegenheit, ihre Ideen dafür umzusetzen. Von einer Funktion wie Live Photos haben die Menschen vermutlich geträumt, seit es erstmals gelang, Licht auf Fotoplatte zu bannen. Ein sanfter Druck und das Bild bewegt sich oder spricht sogar mit einem. “Man bekommt einen Film, wenn man eigentlich fotografieren wollte”, ging dieser Tage der Spott um, doch ist Live Photos ganz anders und mehr als nur ein nettes Gimmick. iPhone-6S-Besitzer werden es lieben und schon bald die Nutzer von iPhone 6 und älteren Geräten bemitleiden, dass dies ihnen vorbehalten ist.
Bei der allmählichen Weiterentwicklung hat Apple also stets die Nutzer im Blick. So kann man auf gewiss reizvolle Dinge wie gebogene Displays oder drahtloses Laden (noch) verzichten. Der Smartphonenutzer kann das auch. Was eine schlechte Nachricht für Samsung und Co ist, die auch in diesem “S”-Jahr mit ihren High-end-Modellen nicht an Apple vorbeiziehen werden.
Das Smartphone wird zwar auch Apple nicht neu erfinden, das Thema ist aber noch lange nicht ausgereizt. Und so werden auch das iPhone 6S und iPhone 6S Plus neue Verkaufsrekorde setzen.