Zum ersten Mal zu sehen waren Ink & Slide – Stift und Lineal für das iPad – schon vor über zwei Jahren bei Adobes Hausmesse MAX im Frühjahr 2013, damals noch unter dem Namen „Mighty and Napoleon“. Drei Innovationen fielen dabei auf: Die Drucksensitivität, die bis dahin komplett bei Tablet-Stiften fehlte, die Idee ein Lineal mitzuliefern, und die enge Anbindung an Software und die hauseigene Kreativ-Komplettlösung Creative Cloud, die den Dateiaustausch zum Desktop viel einfacher macht.

Loslegen mit Ink & Slide
Im Gegensatz zu anderen iPad-Stiften wie zum Beispiel Wacoms Intuos Creative Stylus 2 sind Ink & Slide keine Allround-Begleiter für alle möglichen Zeichen-Apps auf dem iPad. So lässt sich der Stift auch nicht über die Bluetooth-Systemeinstellung des iPad verbinden, sondern nur mit Hilfe spezieller Apps. Die Apps sind zwar kostenlos, verlangen jedoch beim ersten Öffnen nach einer Adobe-ID. Abonnenten der Creative Cloud nehmen hier ihre Adobe-ID, wer kein Abo hat, kann direkt in der App eine Adobe-ID einrichten und die App wie auch weitere Funktionen nutzen, darunter Zugriff auf 2 GB kostenlosen Cloud-Speicher. Die Cloud-Anbindung bringt viele Vorteile: Während die meisten Zeichen-Apps den Nutzer mit einem leeren weißen Blatt begrüßen, kann man sich hier durch die direkt angebundene Behance-Community von Zeichnungen anderer Künstler aus der ganzen Welt inspirieren lassen. Mit einem Tipp auf das Pluszeichen startet man ein eigenes Projekt. Ist das erste leere Blatt sichtbar, lässt sich Ink direkt von der App aus verbinden.
Kompatible Apps
Seine volle Fähigkeit entfaltet Ink im Moment nur in Verbindung mit den Adobe-Spezial-Apps, die Drucksensitivität unterstützen. Dies sind zum Testzeitpunkt folgende Apps. Adobe Photoshop Sketch, Illustrator Draw, Illustrator Line.
Zum Einschalten drückt man den seitlichen Schalter am Stift (die LED an der Oberseite blinkt kurz in Regenbogenfarben) und tippt in der App auf das Stiftsymbol. Ein paar Sekunden über den Punkt gehalten, wird Ink verbunden und signalisiert den Erfolg durch grünes Aufleuchten der LED. Falls es nicht klappt, sollte man überprüfen, ob Bluetooth eingeschaltet ist. Der Stift verbindet sich über Bluetooth 4 und benötigt mindestens ein iPad der 4. Generation, funktioniert außerdem mit allen iPad-Mini-Modellen.

©Adobe
Laden und Cloud verbinden
Im Stiftdialog lässt sich die beim Zeichnen sehr wichtige Handballenerkennung einschalten. Sie verhindert, dass die Handauflage versehentlich immer wieder unerwünschte Striche und Flecken in die Kunstwerke zieht und so beim Zeichner für Frust sorgt. Über den Stiftdialog bleibt auch der Ladezustand des Akkus in Ink sichtbar. Da die Druckstufen per Bluetooth übertragen werden, kommt der Stylus nicht ohne Stromversorgung aus. Im Gegensatz zu anderen Stiften, die mit Standardbatterien arbeiten und zum Wechseln aufgeschraubt werden müssen, lässt sich der Adobe-Stift elegant per USB am Rechner oder per Netzteil wieder aufladen. Dazu gehört ein schickes USB-Dock zum Lieferumfang, das gleichzeitig der Verschluss des Transport-Etuis für den Stift ist. Ink rastet darin mit seiner Rückseite sanft magnetisch bereit zum Aufladen ein. Die farbige Ladezustandsanzeige zeigt an, wann er wieder voll aufgeladen ist, indem sie in Regenbogenfarben blinkt.
Creative-Cloud-Anbindung
Mit diesem Zwischenspeicher können ganze Zeichnungen oder Teile davon kopiert und wieder einfügt werden. So kann sich jeder seine persönliche Bibliothek mit Schnellzugriff auf häufig gebrauchte Formen und mehr einrichten. Zudem stehen die bevorzugten Stiftspitzen und Farben, darunter auch beliebte Farbkombinationen aus der Community der Color-App-Anwender bereit. Mit dem Knopf „Freigeben“ schickt man die aktuelle Zeichnung an den Cloud-Speicher, Twitter, Facebook & Co oder – und das ist der beeindruckendste Effekt – schickt sie nahtlos an Photoshop oder Illustrator. Antippen genügt, und am Desktop-Mac öffnet sich wie von Zauberhand das Programm und zeigt die aktuelle Zeichnung. Und tatsächlich können bei Draw Vektorkurven in Illustrator weiterbearbeitet werden!
Dass Ink sich von anderen iPad-Stiften unterscheidet, zeigt sich im Dialog „Ink Einrichten“, der ebenfalls im Stiftmenü zu finden ist. Unter diesem Menüpunkt kann man nicht nur seinem Stift eine persönliche Farbe, in der die LED auf der Rückseite leuchten soll, zuweisen, hier wird auch die direkte Verbindung zum Creative-Cloud-Konto hergestellt, die wir sämtlichen Creative-Cloud-Nutzern unbedingt empfehlen, da sie viele Vorteile mit sich bringt (siehe Kasten).
Der in Zusammenarbeit mit dem Tablet-Stift-Spezialisten Adonit (www.adonit.com) entwickelte Ink liegt mit seiner dreieckig geschwungenen Form und der Oberfläche aus gebürstetem Aluminium hervorragend und perfekt balanciert in der Hand. Auch bei längerem Zeichnen stellen sich in unserem Test keine Ermüdungserscheinungen ein. Die dünne Spitze gleitet elegant über die Oberfläche des iPad – ohne das oft bei billigen Stiften vorhandene „Plastik-auf-Glas-Gefühl“. Nur das Zeichengefühl auf einem Wacom-Profi-Grafiktablett oder einem Cintiq Companion fühlt sich noch natürlicher an – kostet normalerweise allerdings auch deutlich mehr.
Die Übertragung der Druckstufen ist sehr gut gelungen. Ink reagiert sensibel auf weniger oder mehr Druck beim Zeichnen und kann laut Hersteller 2048 unterschiedliche Stufen unterscheiden. So kann mit einigen Werkzeugen von feinen Haarlinien bis breiten Strichen schwungvoll und variabel gezeichnet werden, etwa bei Strichen mit einem Kohlestift oder Pinseln. Zwar fehlen Ink noch fortgeschrittene Grafiktablett-Features wie eine Neigungserkennung, aber insgesamt liefert die Lösung in Verbindung mit den speziell dafür gedachten Apps das mit Abstand beste Zeichengefühl auf dem iPad ab. Die Spitze von Ink ist nicht zum Auswechseln gedacht. Sie soll extrem widerstandsfähig und langlebig sein, verspricht der Hersteller.
Wacom-Veteranen ertappen sich öfter dabei, den Stift umzudrehen, um zu radieren. Das geht hier nicht, doch Adobe hat praktische Gestenbefehle eingebaut. Die letzten Striche lassen sich zum Beispiel mit einer Zwei-Finger-Wischgeste blitzschnell rückgängig machen, die oft ein Radieren unnötig machen.
Der Kniff mit dem Lineal
Slide, das Lineal, ist technisch wesentlich simpler als Kollege Ink: Eigentlich simuliert das kleine Lineal aus Alu und Kunststoff nur die Auflage von zwei Fingern und enthält weder Elektronik noch einen Akku. Man könnte die gleichen Linien und geometrischen Formen auch ohne Slide zeichnen, indem man in den Apps die Software-Variante benutzt. Trotzdem: Mit dem Lineal gelingt es viel einfacher, geometrische Linien, perspektivische Zeichnungen oder präzise Vektorformen auf das Blatt zu zaubern – einfach weil man es vom realen Vorbild gewohnt ist. Der Knopf am Lineal schaltet zwischen „Schablonen“ wie Linie, Kreis und Rechteck oder klassischen Kurvenlinealen um. Das macht nicht nur Spaß, es inspiriert auch zu ungewohnten Zeichnungen. Im Test erweist sich das Lineal als durchaus sinnvoller Begleiter, wer diese Meinung nicht teilt, kann die Funktion „Slide“ jedoch im Stiftmenü komplett ausschalten. Ink funktioniert auch ohne seinen Kompagnon.
Empfehlung
Ink & Slide sind zwar für einen iPad-Stylus nicht ganz billig, aber liefern dafür ein bisher unerreichtes Zeichengefühl was das iPad überhaupt zu einem ernstzunehmenden Zeichen-Werkzeug macht. Das Zusammenspiel mit den speziell auf die Hardware abgestimmten Apps und der Austausch über die Cloud ist die große Stärke. Zusammen ergibt das ein mobiles Zeichenerlebnis, das jeden Profi und anspruchsvollere Hobby-Künstler begeistert.
Adobe Ink & Slide
Hersteller: Adobe
Preis: € 199
Vorzüge: Einfaches Setup, ermüdungsfreies Arbeiten, natürliches und präzises Zeichengefühl, gutes Zusammenspiel mit CC und Adobe-Apps
Nachteile: Nur mit Spezial-Apps und CC-Abo sinnvoll, hoher Preis
Systemanforderungen: iPad (ab Version 4, iPad Mini, iPad Mini Retina)
Alternative: Wacom Intuos Creative Stylus
Note: 1,2 sehr gut