Obwohl der Begriff seinerzeit noch nicht erfunden war, war das N64 das erste System, das auf die Macht des Second Screen vertraute. Mit dem Transfer Pak erschien eine Erweiterung für Nintendos legendäre 3D-Maschine, die einen Datenaustausch mit dem Game Boy erlaubte. So konnten Spieler bei der roten und blauen Pokémon-Edition gefangene Monster oder bei Mario Golf Charakterdaten zwischen den beiden Versionen übertragen.
Für die Dreamcast griff Sega das Schema einige Jahre später erneut auf. Die Visual Memory Unit – kurz: VMU – war eine Speicherkarte, die im Controller von Segas letzter Konsole Platz fand, aber dank Batterieversorgung auch separat unterwegs zum Spielen verwendet werden konnte. Der Clou: Die VMU besaß einen eigenen kleinen Monochrombildschirm und ein Steuerkreuz, mit dem sich diverse Minigames kontrollieren ließen, meist Dreingaben zu “normalen” Dreamcast-Titeln.

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Wie beim N64 gab es nicht allzu viele Spiele mit entsprechenden Funktionen und die Minigames gingen selten über das Niveau von Taschenunterhaltung à Tamagotchi hinaus. Nintendo war währenddessen nicht untätig und entwickelte für den Gamecube einen Adapter, mit dem sich der Game Boy Advance als Eingabegerät verwenden ließ. Meistens konnte man auf dem Display des Handheld zusätzliche Informationen ablesen, manche Titel brachten aber eigene Minispiele mit.
Dieser Beitrag stammt ursprünglich von unserem Schwestermagazin GamePro
Bei der Wii U hat Nintendo die Idee schließlich perfektioniert: Das ursprüngliche Gamepad besitzt einen Touchscreen, den viele U-Games als essentielle Erweiterung nutzen: eben nicht nur als alternative Anzeige, sondern als eigenes Spielelement. Nicht zuletzt um die mäßigen Verkaufszahlen der Vita anzukurbeln, wollte Sony als Dritter im Bunde nicht nachstehen und erdachte das Cross-Play-Konzept.

Zu vielen PS3-Titeln gibt es die Vita-Version kostenlos obendrauf. Nicht nur lassen sich Spielstände und Errungenschaften hin und her transferieren, die Vita kann obendrein als Fernbedienung für die PlayStation fungieren.
Telespiel am Telefon
Die meisten Entwickler meinen aber inzwischen etwas anderes, wenn sie von Second Screen oder Companion-Apps reden, wie die Spielerweiterungen oft genannt werden. Titel wie Assassin’s Creed 4 , Titanfall oder Watch Dogs stützen sich nicht auf plattformgebundene Hardware, sondern setzen stattdessen auf Tablets und Smartphones, um den Spaß auf einen zweites System zu übertragen.

Mit der App für Black Flag beispielsweise schicken wir auch fernab der Konsole unsere Flotte auf Beutezüge und heimsen die Profite anschließend im Hauptspiel ein. Im Add-on für Watch Dogs treten Runner und Hacker gegeneinander an: Die einen versuchen, möglichst schnell mehrere Checkpoints abzufahren, die anderen, sie mit Polizeipatrouillen, Hindernissen und Helikoptern davon abzuhalten. Und bei Titanfall behalten wir mit der dazugehörigen Mobil-Anwendung die Kampfarena im Auge.

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Allerdings demonstriert just diese App auch eines der Probleme des Second-Screen-Konzepts: Allzu schnell verlieren wir beim Blick auf die Karte das Spielgeschehen aus dem Auge und stecken unnötige Treffer ein. Auch als PC-Spieler mit Zweitmonitor kennen wir das: Da werden wir von einer E-Mail oder Chatnachricht auf dem Nebenbildschirm gestört, schon hat’s uns erwischt. In Multiplayer-Matches können uns derartige Ablenkungen mitunter den Score verderben.
Piraten und Gangster
Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Companion-Apps, wobei einige Exemplare beide Ansätze verfolgen. Die einen fügen dem Hauptspiel neue Funktionen hinzu und interagieren direkt mit diesem, etwa das Add-on für Black Flag. Die anderen stellen einen Ableger des Hauptprogramms dar.
Sie nutzen das gleiche Szenario, erweitern dieses aber um unabhängige Minigames oder andere Features, die die eigentliche Spielerfahrung nicht beziehungsweise nur indirekt beeinflussen. Zwei gute Beispiele liefert Rockstar mit den Zusatzprogrammen für Grand Theft Auto 5 ab: Mit iFruit tunen wir unsere Fahrzeuge und trainieren Franklins Hund Chop.

Das können wir auch im Zug oder am Strand erledigen und die Ergebnisse später in Los Santos bewundern. GTA 5: The Manual hingegen bietet uns einen begleitenden Ratgeber zum Open-World-Abenteuer. Es liefert uns viele nützliche Tipps, Tricks und Karten, greift aber nicht unmittelbar ins Geschehen ein.
Zwei Augen, zwei Displays?
So willkommen uns die Idee des Second Screen auch ist, birgt das System doch Risiken. Da wäre zunächst die oben beschriebene Gefahr der Ablenkung zu nennen, die bei all jenen Programmen droht, die wir zeitgleich mit dem Hauptspiel nutzen sollen. Nach überwiegend negativen Kundenrückmeldungen – die Titanfall-App mit der Echtzeitkarte beispielsweise kassiert im iTunes Store eine ziemlich vernichtende Zwei-Sterne-Wertung – zeigen sich Spielstudios inzwischen deutlich weniger enthusiastisch für derartige Features.
Was aber gerne ausgeblendet wird: Die Entwicklung derartige Zusatzprogramme zieht mitunter auch Ressourcen vom Hauptprojekt ab. Natürlich hat Rockstar keine Millionen Dollar und Tausende Mannstunden in iFruit und The Manual gesteckt. Aber vielleicht hätte Grand Theft Auto 5 mit dem zusätzlichen Geld und etwas mehr Zeit noch besser werden können (Hallo, Online-Modus!).

Die Kraft der zwei Bildschirme
Allgemein scheint der Hype um Second Screen nach einem Höhepunkt im vergangenen Jahr wieder abzuflauen. Smartglass zum Beispiel, Microsofts Vision einer Synergie von Xbox One/360 und Mobilgeräten, hat außer großspurigen Ankündigungen bislang wenig Erwähnenswertes hervorgebracht. Halo 4, Dead Rising 3 und Forza Motorsport 5 sind drei der vorzeigbaren Ausnahmen aus dem Konsolen-Bereich.
Die Xbox mittels Handy fernzusteuern, finden wir durchaus komfortabel, aber eigentlich hatten die Damen und Herren aus Redmond viel weiterreichende Pläne. Auch Sonys PlayStation-App und die Remote-Play-Funktion, mit der wir die Vita als zweiten Controller mit eigenem Display verwenden, können uns nicht auf ganzer Linie überzeugen. Zum Beispiel stört uns die spürbar verzögerte Reaktion, sobald wir uns mit der Vita mal etwas weiter von der PlayStation entfernen. Wirklich konsequent nutzt derzeit nur Nintendo die Kraft der zwei Bildschirme: in Form der Wii U mit ihrem speziellen Gamepad.
ZombiU, Rayman Legends oder Nintendoland demonstrieren, dass Second-Screen-Features das Spielerlebnis wirklich bereichern können – wenn die Titel speziell auf die erweiterten Möglichkeiten zugeschnitten werden. Es ist ein wenig wie mit 3D-Filmen: Als bloßes Gimmick ist Stereoskopie langweilig, oft sogar störend. Richtig verwendet, lässt uns die Technik aber viel tiefer in fantastischen Welten (Avatar) oder den unermesslichen Weiten des Alls (Gravity) versinken.

Wii U als warnendes Beispiel
Trotz (oder wegen?) des Second Screen bleiben die Verkaufszahlen der Wii U hinter den Erwartungen zurück. Die Begeisterung externer Studios für das Feature hat deutlich abgenommen. Kein Wunder, bedeutet es doch vor allem mehr Entwicklungsaufwand, der anderen Plattformen nicht oder nur begrenzt zugutekommt.
Das musste beispielsweise Michel Ancel bei der Xbox-Portierung von Rayman Legends erfahren: Smartglass war seiner Expertise nach einfach nicht schnell genug, um die Wii-U-Funktionen zu übertragen. Abgesehen von Nintendos eigenen Projekten wir Project Giant Robot und Project Guard fallen uns nur wenig Titel für 2015 ein, die wirklich coole Funktionen für den Spezialcontroller mitbringen.

Und selbst Nintendo hat inzwischen die ursprüngliche Idee, zwei Touchscreen-Gamepads gleichzeitig zu unterstützen, nahezu aufgegeben. Mario-Vater Shigeru Miyamoto: “Wir versuchen immer noch, die Leute von der Wii U an sich zu überzeugen. Spiele mit Support für zwei Gamepads liegen erst mal nicht in unserem Fokus.” Nintendo-Chef Satoru Iwata nannte das Gamepad gar einen “Schwachpunkt” des Systems. Die Kundschaft würde das Feature nicht als Kaufargument und Alleinstellungsmerkmal der Plattform annehmen, anders als seinerzeit die Bewegungssensorik der ersten Wii.
Karaoke mit dem Controller
Für Xbox- und PlayStation-Anhänger sieht die nahe Zukunft kaum rosiger aus. Für viele größere Projekte wie Assassin’s Creed Unity , Fable Legends oder Driveclub sind zwar Companion-Apps in Planung, allerdings versprechen nur wenige davon wirklich innovative, spielspaßfördernde Features. Eine positive Ausnahme stellt Singstar: Ultimate Party dar, bei dem wir unsere Smartphones als Mikrofone verwenden.

Das ist simpel, aber genial und spart nebenbei bares Geld für Zubehör. Die Aufnahmequalität moderner Handys ist locker gut genug für eine Runde Karaoke zwischendurch. Ein weiterer hoffnungsvoller Kandidat ist The Division , wo wir unsere Konsolen-Kumpels in Multiplayer-Matches via Tablet unterstützen können, indem wir Drohnen steuern, Ziele zuweisen und Verwundete heilen. Die Division-Macher von Ubisoft zeigen sich wieder einmal als begeisterte Fans und Förderer der Second-Screen-Idee. Ein großer Teil der Vorzeigetitel – darunter Watch Dogs, Rayman Legends, Black Flag – stammt aus dem Portfolio des französischen Publishers. Laut Deutschland-Chef Ralf Wirsing sollen solche Apps in Zukunft “noch mehr Gewicht erhalten.”
Negative Prognosen

Ob der Plan aufgeht, lässt sich derzeit noch schwer abschätzen. Wie unsere Leserumfrage zeigt , stehen gut zwölf Prozent der Teilnehmer dem Thema Second Screen generell ablehnend gegenüber, weitere 20 Prozent konnten sich für keine bislang erschienene App erwärmen. Fast noch entmutigender: Mehr als ein Drittel kann mit dem Begriff schlicht nichts anfangen, obwohl Konsolenhersteller und Spielefirmen seit mindestens zwei Jahren lautstark die Werbetrommel rühren.
Etwas zuversichtlicher stimmt die Lage in Japan und den USA, wo Meinungsforschern zufolge inzwischen fast die Hälfte der Bevölkerung derartige Programme zumindest einmal ausprobiert hat. Allerdings bezeichnen sich nur 15 Prozent als regelmäßige Nutzer – und meinen damit obendrein vor allem diverse TV-Apps, die dort von zahlreichen Sendern, Kabelbetreibern und Drittherstellern angeboten werden, weniger Videogames.
Das Fernsehen (und, wie viele Kinobesucher aus leidvoller Erfahrung mit störenden Handynutzern wissen, auch der Film) eignet sich für Begleitmedien nun einmal wesentlich besser, weil es die Aufmerksamkeit des Zuschauers weniger stark fordert als ein Spiel. Beim Tatort einen Tweet absetzen? Kein Problem! Bei einer Runde Mario Kart? Höchstens per Spracherkennung! Unsere Schweißfinger kleben schließlich am Controller.
Apple versus Android?
Immerhin spielt es kaum eine Rolle, welches Smartphone oder Tablet beziehungsweise Betriebssystem wir nutzen. Die meisten Companion-Apps gibt es für alle drei großen Plattformen: iOS, Android und Windows. Mal läuft die Android-Version etwas flüssiger als die für iOS (etwa bei Battlefield 4 ), mal ist es umgekehrt ( Call of Duty: Ghosts ). Mitunter fehlen bestimmte Versionen, etwa die PSN-Software für Windows Phone.
Es gibt derzeit nur einen inoffiziellen Ableger, dem wir eher nicht unsere Zugangsdaten anvertrauen möchten. Aber üblicherweise können wir mit jedem halbwegs aktuellen Mobilgerät unseren Spaß haben, wobei sich große Bildschirmdiagonalen jenseits von vier Zoll aufgrund der kleinen Schriften und Schaltflächen bei vielen Programmen als vorteilhaft erweisen. Mit zunehmender Prozessor-Power der Taschenbegleiter eröffnen sich den Programmierern auch immer größere Gestaltungsmöglichkeiten. Dass die notwendige Hardware Verbreitung findet, beweisen die überwältigenden Absätze.
Moderne Second-Screen-Apps müssen sich nicht mit Statistikanzeigen, Karten oder Minigames begnügen, wie The Division zeigt, können Mobile Gamer und Konsolenspieler live miteinander interagieren. Tatsächlich sind Konsolen und Mobilgeräte sogar besser vernetzt als die verschiedenen Handy- und Tablet-Plattformen untereinander: Es gibt nur wenige Spiele, die iOS-User und Android-Anhänger gemeinsam genießen dürfen.

Das liebe Geld
Freilich stellt sich die Frage, ob sich der steigende Entwicklungsaufwand für die Studios dann noch lohnt. Denn wie die Umfragen und Absatzzahlen zeigen, sind die Companion-Apps bislang eben noch kein echtes Verkaufsargument, generieren also keine zusätzlichen Umsätze – schließlich sind sie fast ausnahmslos gratis zu haben.
Viele Hersteller dürften überlegen, ob sie die verfügbaren Ressourcen nicht besser in eigenständige Mobile Games stecken, die vom Glanz der Marke profitieren, aber fünf, sechs Euro pro Exemplar in den App Stores einbringen. Unter anderem Electronic Arts und Activison scheinen letztere Möglichkeit zu bevorzugen: Dead Space Mobile, Mass Effect: Infiltrator, Call of Duty: Strike Team – alles Ableger bekannter Serien, aber eben unabhängig von den von den Hauptprogrammen und kostenpflichtig. Angesichts der stetig wachsenden Kundenzahl und der steigenden Bereitschaft, auch mal mehr als 99 Cent für ein Smartphone-Spiel auszugeben, dürfte das (noch) das einträglichere Geschäftsmodell darstellen.

Wir sehen zwei Auswege für die Publisher. Der erste ist offensichtlich: Die Companion-Apps müssen uns Zockern einen echten Mehrwert bringen. Insbesondere bei Online-Spielen würden wir uns wünschen, auch auf dem Weg zur Arbeit oder in der Mittagspause unseren Charakter hochzuleveln oder Reichtümer anzuhäufen, wenn wir keinen Zugriff auf unseren PC oder Konsole haben.
Der zweite Weg sind Bezahlmodelle. Sei es, dass die App selbst ein paar Euro kostet (die vielleicht später auf den Kauf des Hauptspiels angerechnet werden), seien es Mikrotransaktionen über die Mobil-Software für exklusive Inhalte oder Werbeanzeigen.
Die Killer-App kommt

Eines ist sicher: Trotz des durchwachsenen Starts ist das Konzept des Second Screen viel zu mächtig, um es voreilig abzuschreiben. Es stimmt, dass die Studios “das wahre Potential dieser Technologie noch nicht ausgelotet” haben, wie Mark Rein von Epic konstatiert. Oder wie Need for Speed-Produzent Marcus Nilsson es formuliert: “Wir haben bislang nur an der Oberfläche des Second Screen gekratzt.” Aber es spricht viel dafür, dass sich die Lage bessern wird: Auf der letzten Game Developers Conference gehörten die Vorträge zu Companion Apps und Mobile Gaming zu den am besten besuchten.
Im TV-Bereich wächst die Zahl verfügbarer Software und der Nutzer stetig, der Anzeigenmarkt boomt. Und auch im PC-Lager geben sich Firmen wie Nvidia mit dem Shield-Tablet , mit dem man sich dank Funkanbindung auch auf dem stillen Örtchen die Zeit mit Windows-Spielen vertreiben kann, alle Mühe, das Konzept salonfähig zu machen. Es ist eben wie bei jeder neuen Erfindung: Die Kreativen testen Ideen aus, lernen aus Fehlschlägen, erweitern und verbessern das System. Und irgendwann kommt dann die Killer-App.