Es ist das iPad Pro, das zu einem großen Anteil die Zukunft von iOS bestimmen dürfte: Das auf der Apple-Keynote im September 2015 vorgestellte 12,9-Zoll-Tablet mit Stylus ist der Game-Changer , wenn es um Apples Mobilsystem geht, schließlich richtet es sich an Pro-Nutzer. Apple-CEO Tim Cook lehnte dabei in einem Gespräch mit der britischen Zeitung Telegraph weit aus dem Fenster, als er Anfang November sagte: „Das iPad Pro ist für viele Leute ein Ersatz für ein Notebook oder einen PC. Sie werden anfangen, es zu benutzen und feststellen, dass sie nichts anderes mehr benutzen müssen, außer ihren Smartphones.“
Cook kassierte anschließend von der Fachpresse nicht unerheblichen Spott. Denn so hübsch und praktisch das iPad Pro in Sachen Hardware auch sein mag: Bis auf die wenigen Einsatzbereiche, in denen ein größerer Bildschirm oder der Stylus benötigt werden, leidet es unter den gleichen Problemen für den professionellen Einsatz, unter denen bereits das klassische iPad litt und leidet: Das iOS-Betriebssystem ist schlicht zu beschränkt und zu unflexibel. Pro-Nutzer – Videoprofis, Schreiberlinge, Musiker und Webdesigner –, die derzeit einen Mac oder ein Macbook einsetzen, konnten über Cooks Aussage nur lachen, denn letztlich ist das iPad Pro derzeit ein großes iPad mit einem guten Stift. Für den Pro-Einsatz zwingende Optionen – etwa USB-Anschlüsse, Dateimanager oder die Möglichkeit, Apps aus Drittanbieterquellen auch ohne den Store installieren zu können wie beim Mac – fehlen oder sind in der professionellen Praxis nicht sinnvoll nutzbar.
Microsoft zeigt, wie es geht
Grundsätzlich ist an der Idee hinter dem iPad Pro nichts auszusetzen: Microsoft feiert mit seinen Surface-Pro-Geräten inzwischen erstaunliche Erfolge. Der Unterschied ist allerdings, dass Microsoft auf den Pro-Tablets und dem neuen Surface-Book mit Intel-Technologie ein vollwertiges Windows-10-Betriebssystem ausliefert. Der Tablet-Einsatz rückt bei den Geräten aus Redmond ein wenig in den Hintergrund, sie sind eher Notebooks im Tablet-Gewand mit einer optionalen Touch-Oberfäche, doch genau das ist es, was der Pro-Nutzer benötigt und wünscht: Ein hypermobiles und hochflexibles System, mit dem er alles erledigen kann und das er jederzeit in typischen Arbeitsumgebungen – Firmen-Netzwerken, Musikstudios und DJ-Pulten oder Video-Workstations – einbinden kann. Genau das ist mit Microsofts Pro-Tablets möglich, während das iPad Pro mit dem iOS-Betriebssystem hier deutliche Defizite aufweist und gegenüber einem Macbook oder einem Windows-System, und sei es noch so schwachbrüstig, schlicht unglaublich beschränkt ist.
Apple weicht von der reinen Touch-Lehre ab
Da hilft auch das Benchmarking nichts: Ja, das iPad Pro ist leicht und leistungsstark; ja, die A9-Prozessoren haben ordentlich Leistung und rendern sogar 4K-Videos und ja: der große Bildschirm des iPad Pro mit seinen 5,6 Millionen Pixeln ist ein tolles Sichtgerät. Aber Leistung ohne Flexibilität ist nicht viel wert – weshalb das iPad Pro dringend offener und anschmiegsamer, ja möglicherweise sogar zu einem Mac-Tablet werden muss.

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Erste Schritte in diese Richtung sind beim iPad Pro bereits erkennbar: Das Tablet besitzt eine USB-3.0-Schnittstelle, an der der Lightning-Port angeschlossen ist, zudem sind der neue Smart-Connector für die Tastatur und auch der Apple Pencil ein klares Zeichen, dass man in Cupertino zumindest für den Pro-Einsatz nicht mehr so recht an die Macht des reinen Touch-Interfaces glauben mag und vom Touch-Reinheitsgebot der Steve-Jobs-Ära Abstand nimmt. Der hatte Stifte als Eingabegeräte quasi verboten, Mäuse unter iOS verbannt und auch Tastaturen wohl nur unter Schmerzen und Druck des Aufsichtsrates zugelassen: Das schlimme Industriedesign und der frühe Tod des iPad-Tastaturdocks, das mit dem ersten iPad vorgestellt wurde, zeigt, wes Geistes Kind der Apple-Prophet war. Und dass sein Nachfolger Tim Cook hier deutlich pragmatischer agiert. Schließlich hat er mit dem iPad Pro gleich zwei Jobs-Dogmen – den weitestgehenden Verzicht auf Keyboard und Stylus – über Bord geworfen.

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Kommt der Mac mit ARM-Prozessor?
Schon deshalb ist anzunehmen, dass Apple mit iOS 10 die bereits seit 2012 verfolgte Strategie langsamer Öffnung und Assimilation von iOS und OS X weiterverfolgt. Die Betriebssysteme sind ohnehin verwandt, iOS ist nichts weiter als ein abgespecktes Mac-System mit einer touchfähigen Oberfläche. So unterschiedlich die Systeme in der Praxis erscheinen, hält sich Apple hier – wie schon 2006 beim Umstieg auf Intel-Hardware – vermutlich alle Türen offen und dürfte sowohl OS X, als auch iOS in seinen Forschungsabteilungen für die jeweils andere Prozessorplattform vorhalten: Ultraleichte Macs mit Apples ARM-Prozessoren sind daher in Zukunft naheliegend, zumal die A9X-CPU im iPad Pro laut Apple erstmalig mit einem PC oder Mac vergleichbare Leistungsdaten besitzt und Intels Entwicklung – das sieht man an den langen Mac-Produktzyklen – nicht mit der Entwicklungsgeschwindigkeit mithalten kann, die Apple sich wünschen dürfte.

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Schließlich liefert der iPhone-Hersteller selbst seit über einer halben Dekade zuverlässig jedes Jahr eine neue ARM-Prozessorgeneration. Langsame Fortschritte bei der Entwicklung von Prozessoren haben Apple schon mehrfach zu einem Wechsel der Hardware-Plattform getrieben: 1994 wechselte das Unternehmen von Motorola-Prozessoren auf PowerPC-CPUs von IBM, 2005 schließlich, als die Entwicklung des G5 bei IBM nicht voran ging, wurde der Intel-Mac aus dem Hut gezaubert. Absehbar, dass Apple auf dem Mac auf hauseigene ARM-CPUs umschwenkt, sobald diese genug Leistung bringen. Dazu passt auch, dass Apple auch an eigenen Grafikprozessoren forscht . Wahrscheinlich also, dass Apple darauf hinarbeitet, Macs und Mobilgeräte auf einer Hardware- und Softwareplattform zu vereinen, zumal Microsoft es diesmal vormacht und es für den Anwender einen massiven Gewinn an Komfort und Flexibilität bedeutet.
iOS ist schon jetzt offener
Kommt also mit iOS 10 ein iPad/Macbook-Hybride, der alles ändert, wieder einmal? Unwahrscheinlich, glaubt man Tim Cook: Der erteilte in einem Interview mit der irischen Zeitung Independent einem Convertible eine deutliche Absage : Die Kunden würden so etwas nicht wünschen. Solchen Aussagen seitens Apple ist jedoch in der Regel wenig Wert beizumessen, ein Gerät wie der Apple-Pencil wäre schließlich auch noch vor wenigen Monaten absolut undenkbar gewesen. Für iOS bedeutet das iPad Pro jedoch vor allem eines: Das System muss deutlich offener werden, damit das Profi-iPad sich sinnvoll im professionellen Einsatz bewähren kann. Das vor kurzem erfolgte Update auf iOS 9.2 zeigt, dass Apple von seiner teils seltsam konservativen Produktpolitik Abstand nimmt: So ist der iPad SD-Kartenleser nun auch mit dem iPhone verwendbar – ein kleiner Schritt für Apple, der längst überfällig war, aber zeigt, dass man sich langsam von alten Dogmen lösen scheint. Denn technisch wäre das durchaus schon seit iOS 4 und dem ersten iPad möglich gewesen. Funktionen wie iCloud-Drive-Funktion oder die Möglichkeit, alternative Tastaturen unter iOS zu verwenden, sind eine Abkehr von der reinen Lehre. Auch die Rückbesinnung auf die Open-Source-Gemeind e, aus der große Teile des Mac- und iOS-Betriebssystems stammen, zeigen, dass Apple Schritte unternimmt, um die iOS-Software kundenfreundlicher zu gestalten – nicht zuletzt, um mit der inzwischen sehr mächtigen Konkurrenz aus dem Windows- und Android-Lager mitzuhalten.

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Was bedeutet das alles für iOS 10?
Unter dem Strich deuten all diese Fakten darauf hin, dass Apple das iOS-System weiter öffnen und um sinnvolle Funktionen erweitern wird. Mit dem iPad Pro und Cooks Ansage, es könne einen PC ersetzen, ist iOS nämlich inzwischen weit mehr als nur die mobile Verlängerung des Desktops – vielmehr kristallisiert es sich als mobiles Standalone-Betriebssystem heraus und muss dementsprechend mit dem nächsten Update Standard-Funktionen besitzen, die es unabhängig von einem zusätzlichen Windows- oder Mac-Rechner machen. Leider hält sich Apple wie üblich mit Vorab-Infos zurück. Sicherheit über die Funktionen wird es wohl erst mit der WWDC-Keynote im Juni 2016, auf der traditionell die neuen Mac-Betriebssysteme vorgestellt werden, bis dahin gleicht ein Blick in die Zukunft einem Blick in die Glaskugel oder einer Wunschliste. Einige Pro-Features dürften jedoch – zumindest auf dem iPad Pro – Ihren Weg ins iOS-Betriebssystem finden:
– Ein eingebauter Dateimanager jenseits des iCloud-Drives, der, wenn schon nicht Zugriff auf die Systemdateien, doch wenigstens erlaubt, auf Netzwerkfreigaben, USB-Laufwerke und Ähnliches zuzugreifen. Dafür gibt es zwar schon lange kostenpflichtige Apps, schön wäre jedoch eine Lösung von Apple selbst. Auch, um Pro-Usern einen sicheren Datenaustausch mit Kundenservern ohne Cloud-Dienste zu ermöglichen. Denn in der Praxis sind Profis, insbesondere Freelancer, häufig in wechselnden Unternehmensnetzwerken unterwegs und müssen dort auf vertrauliche Dokumente und Daten zugreifen, die die Unternehmen nur ungern in einem Cloud-Dienst sehen möchten – und sei er noch so sicher.
– Bessere Integration der Apps untereinander: Zwar hat Apple den Austausch von Daten zwischen Apps inzwischen deutlich erleichtert, doch auch hier ist das Fehlen eines sinnvollen Dateimanagers als zentrale Sammelstelle von Dateien aller Art lästig.
– Apps von Drittherstellern als Standard einrichten: Apple erlaubt die Anpassung von iOS bereits jetzt im kleinen Stil, etwa bei den Tastaturen und Safari-Werbeblockern. Um für den professionellen Einsatz geeignet zu sein, müssten Standard-Apps auf dem System aber austauschbar sein, wie es bei OS X oder Windows der Fall ist: Wer standardmäßig iCab statt Safari nutzen möchte, sollte das tun können, das gleiche gilt für Mail, Fotos und ähnliche Apps.
– Die Löschung vorinstallierter Apps wie „Freunde finden“, „Tipps“ oder „Mein iPhone suchen“ ist für viele User ganz oben auf der Wunschliste. Hier meldete Apple bereits, dass man die vorhandenen Optionen prüfe: In einem I nterview mit der englischen Buzzfeed sagte Tim Cook, dass man darüber nachdenke, eine Deinstallation zu ermöglichen, allerdings seien viele der vorinstallierten Apps tief im System verankert, weshalb sich Nutzer keine all zu großen Hoffnungen machen sollten.
– Eine Mehrbenutzer-Unterstützung wie auf dem Mac ist nicht nur auf dem iPad Pro eine sinnvolle Option. Soll das Tablet den PC ersetzen, müssen mehrere Benutzerkonten möglich sein – egal, ob das Tablet im Haushalt als Familien-PC oder in Unternehmen durch mehrere Nutzer eingesetzt wird. Zusätzlich wären auch verschiedene Berechtigungsstufen, wie sie bei Unix-Betriebssystemen Standard sind, sinnvoll. Da iOS ein OS X-Ableger ist, das seinerseits ein BSD-Unix ist, sollte es ein Leichtes sein, eine entsprechende Funktion einzubauen.

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– Vollwertige USB-Unterstützung: Aufgrund des schlanken Designs des iPads und des iPhones ist es unwahrscheinlich, das Apple den Lightning-Anschluss in künftigen Hardware-Versionen der iDevices durch einen vollwertigen Micro-USB- oder USB-C-Anschluss ersetzen wird. Stattdessen wird wohl weiter mit Lightning-Adaptern gearbeitet. Der derzeit weitestgehend nutzlose USB-Adapter für Digitalkameras könnte als vollwertiger USB-Port allerdings den Nutzwert des iPad Pro massiv erhöhen – immer vorausgesetzt, dass ein Dateimanager oder zumindest eine USB-Api für App-Entwickler, die den Zugriff auf Festplatten, Sticks und anderes USB-Zubehör ermöglicht.
– Unwahrscheinlich, aber wünschenswert wäre, dass Apple – ähnlich wie Microsoft oder Google oder Apple selbst beim Mac – App-Installationen jenseits des App Stores erlaubt. Dabei wäre auch das eine Möglichkeit, den Pro-Anspruch des iPad Pros zu untermauern und auch die normalen iPads und iPhones flexibler zu gestalten. Pro-User könnten selber Apps programmieren und ausprobieren, Auftraggeber und Hardware-Hersteller die Geräte flexibler ans iPad anbinden, ohne an den Kettenhunden von Apples AppStore vorbei zu müssen.

– Siri Plus/iCloud-Voicemail gehört bereits zu den Dingen, die bereits als sicher gelten: Laut Business-Insider testet Apple bereits eine neue, verbesserte Siri-Version, die zum Beispiel Diktate aufnehmen oder sogar Gespräche annehmen kann, um sie in Textnachrichten zu transkribieren.
– Rootless Security System: Das iOS-Betriebssystem soll ohne Superuser auskommen, womit es endgültig unmöglich sein wird, es zu jailbreaken. Das ist zwar das Gegenteil einer weiteren Öffnung , aber Apple sind die Jailbreaks seit jeher ein Dorn im Auge – nicht nur, weil auf diese Weise zum Beispiel Apps am Store vorbei eingeschleust werden können, sondern auch, weil sie im Zweifel Sicherheitslücken öffnen oder sogar die Hardware beschädigen können.
Größtes Update seit iOS 7?
Die meisten der genannten Features dürften vermutlich ein Traum bleiben, sofern sich Apple nicht entschließt, das iPad Pro auch als echtes Pro-Tool auszustatten. Denn wie immer greift Apples Sicherheitsstrategie, nichts verlässt die Entwicklungsabteilung und die meisten Funktionen sind wahlweise reine Spekulation, Wunschdenken oder eben Leaks, die Apple nicht unterbinden konnte. Sicher scheint, wie sooft, nur das Release-Datum: Hier bleibt Apple zuverlässig, weshalb iOS 10 und OS X 10.12 „Fuji“ vermutlich im Ende Juni auf der WWDC vorgestellt werden, um gegen Ende September, Anfang Oktober 2016 zusammen mit neuen iPads und iPhones zu ausgeliefert zu werden. Doch bereits jetzt wird das System auf manchen Gerüchteseiten als „größtes Update seit iOS 7“ gehandelt – möglich aber auch, dass Apple erst 2017 den naheliegenden Schritt wagt und nach OS X und iOS 10 ein gemeinsames Apple-OS 11 für alle Systeme herausbringt – ob auf Intel- oder ARM-Prozessoren oder sogar auf beiden wird die Zukunft zeigen.