Das Standardmodell der Kernphysik, das die uns umgebende Materie und all ihre exotischen Varianten beschreibt, geht davon aus, dass Elektronen elementar und damit punktförmig sind, während Protonen aus drei Quarks zusammengesetzt sind, die von Gluonen zusammengehalten werden. Wie “groß” denn nun ein Proton ist, hängt auch von seiner Energie ab, doch für den Kern des Wasserstoffatoms, des einfachsten Elements des Universums, im Grundzustand gibt es einen Wert, den man aus der Quantenelektrodynamik bestimmen und errechnen kann. Der sogenannte Ladungsradius des Protons, also der Bereich, in dem sich drei Quarks (zweimal up, einmal down), Gluonen und ihre Wechselwirkungen agieren, beträgt gemäß Standardmessungen 0,8768 fm. Das Kürzel “fm” steht hier für Femtometer respektive Fermi, also 10 -15 Meter.
Schon vor sechs Jahren hatten jedoch Messungen von Forschern am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen in der Schweiz einen geringeren Wert für den Radius ergeben, wenn das Proton nicht von einem Elektron, sondern von einem Myon umkreist wird. Myonen tragen die gleiche Ladung wie Elektronen, sind aber rund 200mal schwerer und extrem kurzlebig, ihre Halbwertszeit beträgt 2,2 Mikrosekunden. Da Myonen jedoch in Teilchenbeschleunigern entstehen und sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen, wird ihre Lebensdauer aufgrund relativitischer Effekte ( Zeitdilatatio n) entsprechend länger, sie zerfallen erst sehr rasch, wenn sie von den Wasserstoffatomen, in deren Hüllen sie die Elektronen ersetzen, heruntergebremst sind. Die kurze Zeit genügt aber, die Atome mit Laserlicht anzuregen und den vom Rückfall in den Grundzustand ausgesandte Röntgenstrahlung zu messen. Die überraschende Erkenntnis des Experiments aus dem Jahr 2010: Der Ladungsradius des Proton schrumpft, wenn es von einem Myon “umkreist” wird, das aufgrund seiner höheren Masse auch einen Orbit “näher” am Kern einschlägt. Im myonischen Wasserstoff misst das Proton demnach nur noch 0,8418 fm im Ladungsradius, der Unterschied übersteigt den Fehler der Messungen und Berechnung um mehr als das Fünffache (5 Sigma). Mögliche Konsequenz: Die bisherigen QED-Berechnungen sind in der gleichen Größenordnung falsch oder ebenso die Rydberg-Konstante , die im wesentlichen die Energie angibt, die es benötigt, ein Wasserstoffatom zu ionisieren, also das Elektron vom Proton im Kern zu trennen.
Wie arstechnica berichtet , haben die Forscher in der Schweiz ihre Messungen nun wiederholt und dabei anstatt Wasserstoff Deutreium benutzt. Chemisch (also in der Hülle) unterscheiden sich die Stoffe nicht, aber im Kern des schweren Wasserstoff ist neben dem Proton noch ein Neutron enthalten. Dieses sollte auch Einfluss auf den Ladungsradius und die Wechselwirkung mit dem Myon in der Hülle haben. Dieses Mal stellten die Forscher gar eine Abweichung von 7,5 Sigma fest, der Wasserstoffkern ist also noch weiter geschrumpft. Wie die Physiker in ihrem bei Science veröffentlichten Paper darlegen , gibt es kaum Erklärungen für das Ergebnis, die nicht am Standardmodell rütteln. Dieses wird zumindest Ergänzungen benötigen, womöglich bringen die Experimente am myonsichen Wasserstoff die Wissenschaft aber auch auf die Spur einer gänzlichen neuen Kraft. Der Radius des Protons bleibt weiter ein Rätsel.