Es ist nach der Keynote , wir kennen jetzt das iPhone 7 . Das bedeutet: Zeit der enttäuschten Erwartungen und permanenten Hinweise auf andere Produkte, die ähnliche Funktionen schon vorher hatten. Und immer wieder stellt sich dabei die Innovationsfrage: Was ist denn überhaupt tatsächlich neu beim iPhone? Revolution oder wieder einmal nur Evolution? Und hat Apple wieder einmal die Strahlkraft verloren, innovativ zu sein? War Apple jemals innovativ?
Apples Liste der Änderungen beim iPhone 7 ist lang. Neue Kamera(s) , besseres Display, neuer Prozessor um nur wenige zu nennen. Bei jedem dieser Punkte kann man völlig zurecht auf andere Pioniere verweisen, die Ähnliches schon länger machen. Dual-Kamera? HTC, LG und Huawei! Multicore-Prozessor mit Öko- und Powerkernen – Samsung! Wasserfest und hübsch sind viele andere Smartphones ebenfalls. Und schon Alexander Graham Bells erstes Telefon hatte keinen 3,5mm-Klinkenanschluss!






















Woher kommt die Forderung nach Innovation?
Die Wahrnehmung Apples als (vermeintlicher) Innovator kommt wohl zum größten Teil aus der Geschichte. Als früherer Underdog mit treuer Fanbase aus dieser Zeit hat Apple in der Tat Dinge wie die Computermaus und grafische Nutzeroberfläche nicht erfunden, aber populär gemacht. Auch das Glas-Touchdisplay und die heute generell verbreitete Formel eines Smartphones und Tablets wurde mehr oder weniger durch Apple populär gemacht. Apple selbst hat zu der Anspruchshaltung an die eigene Innovationskraft beigetragen, da das Unternehmen sich lange Zeit nicht damit zurückhielt, juristisch deutlich zu machen, sie hätten „rechteckiges Gehäuse mit runden Ecken“ erfunden .
Vielleicht gibt es hier eine unterschiedliche Wahrnehmung dessen, was Innovation ist und was Apple tatsächlich leistet. Die Ebene, auf der Apple Innovationen einbringt, liegt nur selten in reinen Erfindungen – Funktionen und Techniken, die noch niemand zuvor gesehen hat. Apples Stärken liegen eher in der Implementierung von existierenden Funktionen und Techniken. Apple ist vielen Fällen Umsetzungskönig, nicht der patentsammelnde Professor. Apple erfindet wenig selbst, hat aber häufig maßgeblichen Anteil daran, neue Funktionen oder Trends ordentlich bis toll umgesetzt in den Massenmarkt zu bringen.
Apple entwickelt und optimiert
Der Entwicklungsaufwand, der hinter diesen Anpassungen und Verfeinerungen auf Hard- und Software-Ebene steckt, sollte nicht unterschätzt werden. Häufig dauert es Jahre, bis aus einer Idee eine real existierende Funktion wird. LinX, ein israelisches Unternehmen, das Multilinsen-Kameras entwickelte, kaufte Apple Anfang 2015 . Die Tiefenmessung mittels zweier Kameras für den Bokeh-Effekt wird dennoch nicht zum Verkaufsstart im September fertig.
Besonders gut zeigt sich Apples Entwicklungstiefe bei der Halbleiterentwicklung. Das Unternehmen baut immer mehr selbst entwickelte Chips in seine Produkte. Hintergrund ist dabei meistens Energieeffizienz, neue Funktionen zu ermöglichen und mehrere spezifische Chips zu einem zusammenzufassen. Am sichtbarsten ist dies bei den eigens entwickelten iPhone-Prozessoren, die zwar auf der ARM-Architektur basieren, aber von Apple selbst entwickelt und optimiert werden. Mit dem sichtbaren Ergebnis, dass Apple A-Reihe die effizientesten Smartphone-Prozessoren sind. Weitere Beispiele für „Custom“-Chips sind die M-Co-Prozessoren, die Sensoren verwalten, der Bildprozessor des iPhone 7 oder der neue W1-Funkchip in den Airpod-Kopfhörern.
Besonders in der Fertigung geht Apple häufig die sprichwörtliche Extrameile. Eine Milliardeninvestition in Fräsmaschinen, um Unibody-Macbooks inGroßserie herstellen zu können oder Lasercutter für iPhone-5-Kanten? Das ist Apples Stil. Hier muss die Herstellung dem Design folgen. Nicht die Fabrik limitiert, welche Formen, Bearbeitungsschritte, Materialien und Detaillösungen möglich sind, sondern das Design gibt weitgehend vor, welche Maschinen und Verfahren in der Fertigung zum Einsatz kommen müssen. Kein Wunder, dass Apple diesen Aufwand bei der Fertigung auch gerne in von Jony Ive gesprochenen Hochglanz-Videos präsentiert? Beim iPhone 7 ist es vor allem die Eloxierung des Diamantschwarz, das Apples stolz macht.
Ist dieser Einsatz bei der Produktion innovativ? Nicht im direkten Sinn, aber viele Kunden schätzen diesen Zusatzaufwand offenbar. Und nicht nur einmal hat Apple damit kleinere und größere Trends gesetzt.
Ein Feld, in dem Apple immer versucht, neue Wege zu gehen, ist die Interaktion mit dem Nutzer. Nutzerinterfaces wie Trackpads, Touchscreens, sogar Knöpfe. Die Maus müssen wir als Beispiel nicht einmal bemühen. Selbst jüngste Beispiele wie Tactile Engine, Force Touch und 3D-Touch, eingebaut im iPhone, Macbook und der Apple Watch zeigen, dass Apple hier durchaus Neues probiert und dabei auch Treffer landen kann.
Trennungsschmerz
Apple Entscheidung, sich von der 3,5mm-Kopfhörerbuchse zu trennen, sorgt für Kritik, Diskussionen und hämische Internet-Meme . Gewohnte Funktionen wegzulassen, klingt zunächst nicht besonders innovativ. Keine Frage, dies bedeutet für viele Nutzer eine Umstellung und Einschränkung. iPhone als Navi im Auto und am Aux-Anschluss des Radios? Laden oder hören!
Gleichzeitig nagt eine Frage im Hinterkopf: „Und wenn Apple auf lange Sicht doch Recht hat?“ Aktuell selbstverständlich nicht, Apples vermeintlicher Aufbruch in die Audio-Zukunft hat derzeit nur Nachteile für Nutzer. Es fällt auch schwer, dies mit früheren Präzedenzfällen wie fehlendem Diskettenlaufwerk beim Ur-iMac oder fehlendem DVD-LW beim Macbook Air zu vergleichen. Denn hier bekam man zumindest die bessere Alternative in Form von CD-ROM beziehungsweise SSD und schnellem USB dazu.
Und dennoch stellt das iPhone eine Frage: Ist der Klinkenanschluss wirklich für alle Zeit die primäre Verbindung zu Kopfhörern und Lautsprechern oder sollten sich mit der Zeit Alternativen durchsetzen? Blöd für Apple, dass sich bisher noch niemand sonst diese Frage gestellt hat.
tl:dr: Apple erfindet nur selten neue Funktionen, betreibt aber viel Aufwand, um existierende Technik netter, nutzbarer und energieeffizienter zu machen. Auch das ist technisch anspruchsvoll und für Nerds faszinierend. Hört auf zu streiten!