Wenn sich ein Kreativer ein iPad Pro zulegt, steht er immer vor der Qual der Wahl bei der Bildschirmgröße. Gerade beim Zeichnen und Illustrieren macht sich Platz auf dem Bildschirm gut: Pinselstriche gelingen auf dem großen iPad auf jeden Fall schwungvoller – wie auf einem großen Grafiktablett, einem großen Zeichenblock oder einer Leinwand. Der Erstling des großen iPad Pro bot diesen Platz, fiel aber als Gerät vielen zu klobig und unhandlich aus – eigentlich schade, denn bei kreativen Arbeiten ist das Mehr an Platz ein großes Plus. Die Schrumpfkur beim Gehäuse kommt dem neuen Pro sehr zu Gute: Durch das 25 Prozent verringerte Volumen wirkt das größere iPad Pro immer noch handlich und leicht. Im direkten Vergleich wirkt es wie die richtige Größe, um darauf kreativ zu werden, deswegen haben wir uns beim Test auch für dieses Modell entschieden.

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Die Bildqualität ist für Kreative besonders wichtig – schließlich bringt ein gutes Display die eigenen Kunstwerke wie Zeichnungen, Illustrationen oder Fotos zum Leuchten. Hier kann das neue, hochaufgelöste Display im 2018er Modell – wegen der neuen, jetzt abgerundeten Ecken “Liquid Retina” genannt – voll überzeugen. Es ist schlicht und einfach nicht nur der beste Bildschirm den man in einem iPad je gesehen hat – sondern der beste mobile Bildschirm überhaupt. Er lässt hochaufgelöste Fotos brillant und plastisch aussehen, Farben treten knackig und leuchtend hervor und der weite Blickwinkel macht das iPad Pro auch zu einem idealen Präsentationsmedium, auf dem man seinen Kunden, Kollegen oder Co-Workern gerne seine kreativen Ideen, Skizzen, Fotos oder Werke zeigt. In der von uns getesteten 12,9”-Größe wirken sie groß genug und trotzdem ist das Gerät klein und leicht genug, um es immer mitzunehmen. Der neue USB-C Port macht es einfach einen externen Monitor anzuschließen – falls die Arbeiten mal noch größer gezeigt werden sollen.
Der neue Apple Pencil: Immer geladen, immer griffbereit
Für Kreative ist der Apple Pencil weit mehr als für Normal-User, die darin nur ein Werkzeug um Notizen zu machen oder zum Dokumente unterzeichnen sehen. Er ist ein universales Werkzeug, ob Pinsel oder Bleistift für Skizzen, Retuschen und schwungvolle Vektorkurven. Damit, wie gut sich der Apple Pencil auf dem neuen iPad Pro anfühlt steht und fällt das Urteil aus Sicht des Kreativen.
Der Apple Pencil in seiner ersten Version war schon ein guter Wurf, an dem sich die Geister zum Teil scheiden. Manche bevorzugen den „digitalen Stylus“-Ansatz von Wacom, der mit einem dickeren Formfaktor und gummiertem Überzug das stundenlange, ermüdungsfreie Zeichnen möglich machen will. Andere mögen den Apple-Ansatz: Hier stand ein echter Bleistift als Vorbild Pate. Genial und einmalig ist dabei die Idee, Schraffieren durch schräges Auflegen der Zeichenspitze möglich zu machen. Viele Apps wie Adobe Sketch , Alias Sketchbook oder Procreate unterstützen diese Art flächig zu zeichnen. Mit den feinen Druckstufen wird das Zeichnen fast so intuitiv wie mit Stift und Papier möglich. Die leicht gummierte Spitze macht dabei das Zeichnen etwas natürlicher, weil es sich etwas weniger nach Glasplatte, sondern wie auf Papier anfühlt – auch wenn es das letztlich immer noch ist. Ein Sensor im Stift sorgte schon beim Erstling für ein sehr natürliches Gefühl beim Zeichnen.
Dennoch: Der erste Apple Pencil hatte ein paar Mankos, die ihn in der Praxis etwas unhandlich machten. Wie andere Bildschirm-Stifte braucht er Strom, kommt aber im Gegensatz zum Microsoft Surface Pen mit einem eingebauten, wiederaufladbaren Akku. Zum Aufladen musste hinten eine Kappe abgenommen werden (die viele früher oder später verloren haben, oder gleich von Anfang an in der Schachtel ließen) und dann wurde er in den Lightning-Port zum Aufladen eingesteckt. Das sah nicht nur seltsam aus, es gab es keine Lösung, wie und wo man den Apple Pencil mit nimmt. Entsprechend oft hat man ihn auch verlegt oder schlicht und einfach vergessen.
Der neue Apple Pencil wird magnetisch an der Seite des iPad Pro nicht nur gehalten – er wird dabei gleich drahtlos aufgeladen. Beim “Andocken” zeigt er auf dem Bildschirm des iPad Pro in Prozent seinen Ladezustand. Genau so einfach funktioniert das Bluetooth-Koppeln: Einfach ans iPad schnappen lassen, fertig. Das klingt alles nach simplen Verbesserungen, hat aber eine enorme Wirkung: Der Apple Pencil bleibt immer griffbereit und aufgeladen. Wird das iPad Pro aufgeladen, wird auch der Apple Pencil aufgeladen. Ja mit der Zeit vergesse ich sogar, dass er überhaupt geladen werden muss – denn er hat dank dem genialen Wireless-Charging eigentlich fast immer 100 Prozent Akkuladezustand. Damit er besser hält, ist er an einer Seite abgeflacht. Damit liegt er irgendwie auch besser in der Hand als der komplett runde Vorgänger. Zweiter Vorteil: Der jetzt nicht mehr komplett runde Stift rollt beim Ablegen auf dem Tisch nicht mehr weg oder fällt herunter. Die magnetische Kraft hat Apple dabei wirklich gut austariert. Der Pencil hält so gut, dass man das iPad samt angehefteten Pencil im Rucksack transportieren kann, ohne dass er dabei abfällt.

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Verfeinertes Handling
Im direkten Vergleich fällt auch auf, dass der neue Pencil in Sachen Gewicht und Balance ein wenig ausgereifter und solider wirkt. Das sind Feinheiten, die nicht vielen auffallen werden. Beim Zeichnen machen sie aber einen großen Unterschied aus.
Ich greife ständig nach dem neuen Stift, während ich beim alten Pencil oft erst mal suchen musste, wo er gerade liegen geblieben ist – danach folgten immer einige Minuten, um ihn aufzuladen. Der neue Apple Pencil ist immer da und immer bereit. Das heißt in der Praxis, dass man auch öfter Dinge, die mit dem Stift besser klappen auch mit dem Stift macht: Zeichnen, Skizzieren, Retuschieren, Maskieren – der Apple Pencil ist in dank der Halte- und Ladefunktion endlich so oft im Einsatz, wie er es auch verdient. Es ist sogar möglich, das iPad Pro mit dem Apple Pencil zu entriegeln. Dabei landet man aber nur und automatisch in der Notizen-App – die allerdings in Sachen Zeichnen weit mehr zu bieten hat, als die meisten wissen. Vielleicht gibt es irgendwann noch die Möglichkeit, mit dem Pencil direkt in die bevorzugte Zeichenapp einzusteigen. Wichtig ist noch zu wissen, dass der Apple Pencil der ersten Generation nicht mit dem neuen iPad Pro funktioniert und der neue Apple Pencil nicht mit dem ersten iPad Pro genutzt werden kann – wer also umsteigt braucht einen neuen Pencil. Der neue Apple Pencil zeigt sich vor allem auf dem großen 12,9”-Display als sehr natürliche Zeichenerfahrung – so echt, dass man teilweise fast vergisst, dass man digital unterwegs ist. Und das nicht nur beim Zeichnen: In Lightroom CC macht sich der Apple Pencil bei Maskierungen für selektive Korrekturen sehr gut. In Adobe Line gelingen damit sehr präzise Vektorkurven. Einen großen Teil davon trägt sicher auch die nochmal gesteigerte Prozessorpower des A12X Bionic Chip bei, die Pinselstriche und alle Eingaben sehr flüssig umsetzt – und das jetzt schon, obwohl die Entwickler sicher erst anfangen die neue Power in ihren Apps zu nutzen.

Per Doppeltipp zum letzten Werkzeug
Viele erwarteten bei der Neuauflage eine seitliche Taste à la Wacom für Zusatzfunktionen oder einen virtuellen Radiergummi an der Rückseite. Die Lösung, die sich Apple einfallen lassen hat, ist aber viel besser: Die Zusatztaste ist da, aber unsichtbar. Ein Doppeltipp mit dem Finger löst eine Zusatzfunktion aus. Dabei ist egal wo auf dem Stift und wie man genau tippt. Zuverlässig wechselt der Apple Pencil so zum Beispiel mit der voreingestellten Funktion zwischen Bleistift und Radiergummi. Alternativ wechselt der Doppeltipp zwischen aktuellem und letztem Werkzeug.
Was er per Doppeltipp wechselt, lässt sich in den Einstellungen systemweit bestimmen – und Apple hält die Entwickler auch an, diese zu respektieren, aber zusätzlich haben Dritthersteller und Apps die Möglichkeit, eigene Zusatzfunktionen für den Doppeltipp am Stift anzubieten. So lässt sich in Procreate zum Beispiel schon eine eigene Einstellung dazu wählen.
Allein der Wechsel zwischen zwei Werkzeugen kann nicht nur enorm viel Zeit sparen, es ist ein Riesenschritt in Richtung intuitivem Gestalten. Beim Maskieren wechselt man spielend zwischen Farbauftrag und Radiergummi (ohne wie bei einem Wacom Stift ständig den Stift zur Rückseite drehen zu müssen). Doppeltipp und weiter geht’s. In Zeichenapps wie Procreate tippe ich vom Pinsel zum Wischfinger. Bei beiden Werkzeugen werden die Einstellungen von Pinselbreite und Deckkraft beibehalten. So kann Acrylfarbe aufgetragen und dann nahtlos mit einem trockenen Pinsel verwischt werden, ohne dass der Fluss unterbrochen wird. Das ergibt ein ganz neues, digitales Zeichengefühl. Und wir stehen hier sicher erst am Anfang der Möglichkeiten: Entwickler werden sicher die neue Funktion entdecken und für viele spannende Anwendungen damit in verschiedenen Apps umsetzen, die sich dann je nach Geschmack anpassen lassen.

Tastaturkürzel auch auf dem iPad
Neben dem neuen Doppeltipp auf dem Apple Pencil lohnt sich das Smart Keyboard – eine Kombi aus iPad-Pro-Hülle und Tastatur noch als Zeitsparer für Kreative. Wer lange auf die Befehlstaste in einer App drückt, sieht, welche Kurzbefehle in einer App zur Verfügung stehen. In Procreate lassen sich zum Beispiel die Pinselgrößen durch Drücken der Spacetaste das Schnellmenü einblenden oder mit Optionstaste die Pipette Aufrufen.

Das Smart Keyboard zum ersten iPad Pro war zum Zeichnen noch weniger geeignet, da es nur einen Winkel zum Aufstellen anzubieten hatte. Beim neuen Smart Keyboard sind zwei Winkel möglich, in denen das iPad Pro sehr sicher auf der Oberfläche Halt findet. So ist neben dem Zeichnen auf dem flachen Tablet auch das Aufstellen auf dem Desktop oder dem Schoß mit dem Smart Keyboard Folio möglich – und kombiniert mit Tastaturkürzeln zu arbeiten.
Photoshop und Project Gemini: Neue Pro-Apps fürs iPad Pro
Mit den aktuellen Kreativ-Apps sind die Möglichkeiten mit dem iPad Pro längst nicht erschöpft: Adobe hat kürzlich auf der Kreativkonferenz MAX eine Photoshop-Version fürs iPad Pro angekündigt, die 2019 erscheinen soll. Zwar kommt der Bildbearbeitungs-Klassiker mit einer neuen, für Touch-Bedienung optimierten Oberfläche, die an Lightroom CC erinnert, doch unter der Haube arbeitet die Original-Codebasis vom Desktop. Dann wird es möglich, PSD-Dateien ohne Import oder Konvertierung zu öffnen, mit Original-Pinseln, Filtern und Masken ohne Abstriche zu arbeiten. Das iPad wird dann wirklich zur Pro-Maschine, denn Kreative können ihre Projekte mobil beginnen, am Desktop finalisieren und umgekehrt – oder komplett nur auf dem iPad Pro arbeiten.
Zudem wird 2019 ein komplett neu entwickeltes Zeichenprogramm, derzeit unter dem Namen Project Gemini folgen. Damit sind nicht nur natürliche Ölgemälde und Aquarelle neben Bleistiftskizzen und allen möglichen Maltechniken möglich, sondern gleichzeitig können die Werke mit Vektorzeichnungen kombiniert werden. Wir hatten in Los Angeles bereits die Möglichkeit auf einem Event von Apple und Adobe die neuen Apps noch auf dem alten iPad Pro auszuprobieren. Photoshop und Project Gemini machten dabei einen starken Eindruck. Die Möglichkeit, die Masse an Photoshop-Pinseln von Adobe und von Künstlern mit dem Apple Pencil und dem iPad Pro zu nutzen, macht jetzt schon Vorfreude auf die neuen Apps. Auch die Performance macht einen guten Eindruck: Im Demo zeigte Adobe eine Datei mit 208 Ebenen, die sich flüssig scrollen lassen.
Möglich wurde die Portierung von Photoshop und das natürliche Zeichengefühl in Project Gemini durch die Prozessorpower des iPad Pro – es bleibt spannend wie die noch deutliche Steigerung beim neuen Modell die nochmal deutlich gesteigerte Performance des neuen Modells Kreativ-Apps zugute kommt.
Fazit
Wer als Kreativer auf das neue iPad Pro umsteigt, muss auf jeden Fall die 129 Euro für einen neuen Apple Pencil mit einkalkulieren. Zudem lohnt sich der größere Bildschirm des 12,9“-Modells, was insgesamt einen satten Preis ergibt, der sich aber auszahlt: Zum Zeichnen, Retuschieren und Skizzieren gibt es nichts Besseres, was gleichzeitig so mobil, intuitiv und vielseitig ausfällt. Das iPad Pro macht schon jetzt viel Spaß, mit Photoshop und angepassten Pro-Apps, die die verfügbare Performance weiter ausreizen werden, dürfen sich Kreative auf ein spannendes Jahr 2019 freuen.