Wer hätte noch vor einer Woche gedacht, dass eine relativ einfache App eine entrüstete Diskussion in diversen Foren verursacht? Doch HKlive traf bei allen Beteiligten einen wunden Punkt: Zum einen war den Entwicklern die Sympathie des breiten Publikums sicher, sollte doch die App den Protestlern in Hong Kong helfen, Polizei-Kontrollen und Patrouillen zu meiden. Stellt man sich doch fast unbewusst an die Seite des Schwächeren, der gegen eine Staatsmacht kämpft. An der anderen Seite steht die chinesische Regierung, die durch die Proteste sowieso ihre Macht untergraben sieht und noch nicht dazu jedwede digitalen Mittel zulassen will, die diesen Machtschwund unterstützen. Und dazwischen Apple, das sich in dieser Situation nicht mit Ruhm geschweige denn Konsequenz bekleckert hat: Zunächst haben die App-Store-Tester die App unverhältnismäßig lange nicht durchwinken lassen. Dann, als die Causa publik wurde, war die App kurz zugänglich, danach bald wieder aus dem App Store gelöscht. Die Erklärung für die Löschung machte die Sache nur noch schlimmer: Apple PR habe unterstellt, die Protestler nutzten die App, um die einzelnen Polizisten anzugreifen. Kurze Zeit später haben sich Augenzeugen vor Ort gemeldet und der Darstellung widersprochen. Warum ist aber alles so eskaliert?
Es ist für Apple nicht das erste Mal, dass Apps aus dem App Store fliegen, kurz Entrüstung herrscht, nach einer schlüssigen Erklärung sich aber dann die Aufregung wieder legt. So war es beispielsweise mit den Kindersicherungs-Apps : Die Entwickler hatten sich hier beschwert, Apple wolle keine Konkurrenz zu seiner Bildschirmzeit sehen. Dann hat sich aber herausgestellt, dass die Apps unzulässigerweise die Funktion Mobile Device Management genutzt hatten und Nutzer den Apps einen sehr breiten Zugang zu dem eigenen Gerät gewähren mussten. Bei HKlive war dies aber anders: Die Erklärung von Apple ist alles andere als schlüssig, stellt sich das Unternehmen mit der Löschung doch an die Seite der chinesischen Regierung, die alles andere als demokratisch und menschenrechteachtend ist. Es ist diese Diskrepanz zwischen der Handlung und Absichtsbekundung von Apple, die solche Diskussionen hervorruft.
Denn Apple hat sich seit je her sehr stark hohen Werten verschrieben und hatte dies bislang auch umgesetzt. Manche haben zwar den berühmten FBI-Streit zwar als einen gelungenen PR-Trick gewertet, doch die Kosten für einen Trick wären zu hoch gewesen: Das Unternehmen stand vor einem scheinbar unendlichen Gerichtsverfahren gegen den eigenen Staat und streitet man sich auch nur ungern mit einem Geheimdienst. Skeptiker sehen auch sämtliche “grünen” Initiativen als reine PR-Strategie, doch man kann eine Werbekampagne auch billiger als für 300 Millionen Dollar einkaufen. Tim Cook setzt sich in jedem seiner Interviews für Menschenrechte wie Gleichberechtigung und Privatsphäre ein. Sicherheit und Datenschutz sind beim Unternehmen so groß geschrieben, dass sie es einmal gar auf ein Werbebanner in Las Vegas schafften .
Ob bewusst oder nicht, Apple hat seine Werte vor der Öffentlichkeit nicht gerade verheimlicht. Zuletzt hat das Unternehmen wohl verstanden, dass auch die abstrakten Aspekte wie Datenschutz ein Alleinstellungsmerkmal eines iPhones sein können und so die neuen oder bestehenden Kunden “abholen” könnte. Auf der vergangenen iPhone-Keynote gab es zu jedem neuen Produkt eine Privacy-Erklärung, so gesehen hat Apple sehr hohe Erwartungen an die eigenen Werte gestellt.
Momentan entsteht jedoch der Eindruck, dass das Unternehmen Werte wie ein Grundrecht auf friedliche Proteste mit Füßen tritt und vor einer repressiven Regierung wie in China kuscht, sobald der Umsatz im Land gefährdet ist. Tatsächlich hat die Firma ein schwieriges Verhältnis mit dem Land: Einerseits ist Apple an die riesigen Produktionskapazitäten angewiesen, die sich so leicht nicht ersetzen lassen, andererseits will man nicht den großen und wachsenden Smartphone-Markt verlieren, um den man mehrere Jahre gekämpft hat . Apple weiß zudem ganz genau, wozu die Regierung im Lande fähig ist, wenn man die Regeln im Lande nicht befolgt: 2016 waren eine Zeit lang iTunes Movie und iBooks Store verboten .
Es bleibt die Frage, wann für Apple bei den Einschränkungen in China die Schmerzgrenze erreicht ist bzw. wie viel die eigenen Werte kosten. Denn das aktuelle Argument, man wolle nur die Landesgesetze befolgen , gilt seit den Auschwitzprozessen nicht mehr: Denn auch die Anordnungen einer höheren Instanz (sogar aktuelle Gesetzgebung ) können die grundsätzlichen Menschenrechte verletzten, es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen (Unternehmens), dagegen zu kämpfen.