Es hat sich schon abgezeichnet, dass Apple mit dem Nachfolger der Apple Watch Series 5 auch einen neuen Gesundheitssensor einführen wird. Eine Blutdruckmessung mit nicht invasiven Methoden und ohne zusätzliche Hardware ist momentan nicht realistisch, die Sauerstoffsättigung des Blutes kann dagegen mit den bereits verfügbaren Mitteln der Photometrie ermittelt werden. Schließlich kann die Konkurrenz wie Withings das schon lange.
Hat man sich die Apple Watch Series 6 zugelegt und blickt nach ein paar Tagen in die Health-Daten im Bereich „Blutsauerstoff“, fragt man sich allerdings, was man mit diesen Daten anfangen kann. Zur Info: Die Apple Watch Series 6 misst den Sauerstoffgehalt auch im Hintergrund , erfahrungsgemäß zu jeder vollen Stunde – wenn der Nutzer dieser Messung in den Einstellungen zugestimmt hat, 18 Jahre und älter ist und seine Uhr nicht über die Familienfreigabe eingerichtet hat. Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit Dr. med. Gregor Zimmerman gesprochen, Leiter der Pneumologie am Klinikum Rechts der Isar.
Grundsätzlich kann die Apple Watch wie jedes andere vergleichbare Gerät die Blutsauerstoffsättigung mit Hilfe seiner Lichtsensoren messen: Ein rotes Blutkörperchen, bei dem das Hämoglobin mit Sauerstoff beladen ist, absorbiert nämlich Licht anderer Wellenlänge als ein rotes Blutkörperchen, das kein Sauerstoff-Molekül im Huckepack trägt. Je nachdem, wie viel Licht einer bestimmten Wellenlänge (für gewöhnlich 660 und 940 Nanometer, rotes und infrarotes Licht) absorbiert wird, kann das Gerät ausrechnen, wie viel Prozent der Blutkörperchen gerade mit Sauerstoff beladen sind. Apple weist in seinen Dokumenten darauf hin, dass 95 bis 100 Prozent Blutsauerstoffsättigung normal bzw. gesund sind. Für Dr. med. Zimmermann sind vor allem Werte unter 90 Prozent bedenklich.
Ein großes Aber gibt es bei der Apple Watch 6 mit ihrer neuen Funktion und allen anderen vergleichbaren Fitness-Trackern: Sie sind nicht medizinisch geprüft, man kann momentan nicht sagen, wie genau diese Messungen überhaupt ausfallen. Der Arzt hofft, dass in der nächsten Zukunft Studien veröffentlicht werden, die ein bisschen mehr Licht auf die Frage der Messgenauigkeit solcher Geräte werfen.
Vielseitige Anwendung
Die Anwendungsbereiche für solche Blutsauerstoffmesser sind demnach nicht nur im Krankenhaus oder in der Arztpraxis zu finden. Zum Beispiel könnten Bergsteiger oder Skifahrer davon profitieren. Viele Skigebiete liegen auf einer Höhe von mehreren tausend Höhenmetern über dem Meeresspiegel (Aspen in Rocky Mountains (USA) knapp 2400 NN, Hintertuxer Gletscher in Österreich knapp 3.200 NN). Nicht trainierte Menschen können mit solchen Trackern beobachten, wie ihr Körper sich an den niedrigeren Luftdruck und folglich an die verminderte Verfügbarkeit von Sauerstoff in der Luft gewöhnt.
Als ein anderes Beispiel nennt uns Dr. med. Zimmermann Schlafapnoe – Atemaussetzer im Schlaf. Da die Anfangssymptome wie Atemaussetzer oder Schnarchen eben im Schlaf auftreten, merkt es ein Mensch nicht selbst, dass er ein gesundheitliches Problem haben kann. Wenn eine Apple Watch oder ein anderes Gerät per Sauerstoffmessung darauf hinweist, dass seine Werte außerhalb der Norm liegen, kann er zumindest diese Werte in der Zukunft etwas aufmerksamer beobachten. Hier wäre jedoch eine kontinuierliche Messung des Blutsauerstoffgehaltes aussagekräftiger, erklärt Zimmermann. Auch bei anderen Krankheitsbildern ist die Messung des Wertes wichtig: Säuglingen in der Risikogruppe für den plötzlichen Kindstod gibt man eine Ohrklammer, die diese Werte ausliest. Auch bei einer Lungenembolie oder andere Lungenerkrankungen kann ein zu niedriger Sauerstoffgehalt im Blut den Menschen vorwarnen. Auch bei COVID-19 beobachtet man Patienten mit einem milden Verlauf in Bezug auf ihre Blutsauerstoffwerte: Fällt dieser Wert plötzlich unter den Normalbereich, kann man mit rechtzeitigen Maßnahmen möglicherweise auf einen schweren Verlauf frühzeitig reagieren und Folgen wie künstliche Beatmung verhindern.
Wie reagiert man dann aber, wenn man eine Warnung (in der Zukunft mit der Apple Watch Series 6 möglich) über einen zu niedrigen Sauerstoffgehalt im Blut erhält? Unserem Pneumologen zufolge muss man sich dann fragen, wie man sich in dem Moment fühlt. Wenn keine weiteren Beschwerden auftreten, kann man eventuell in einer Arztpraxis mit einem Referenzgerät nachmessen, ob die Warnung überhaupt stimmt. Auf eine Frage, ob er sich nicht vor vielen „falsch positiven“ Besuchen fürchtet, antwortet Zimmermann: „Man muss jeden Patienten ernst nehmen. Dafür sind wir Ärzte ja da.“