Der japanische Konzern Sony ist immer wieder für eine Überraschung gut, das gilt auch für seine Smartphone-Abteilung. Bei den Xperia-Geräten stand man zuletzt im Schatten von Samsung und Huawei, mit dem neuen Sony Xperia 1 Mark II führt Sony aber einige beeindruckende Funktionen ein, die man so nur von Profi-Kameras und hochwertigen Video-Aufnahmegeräten kennt. In vielen Bereichen geht Sony dabei einen völlig anderen Weg als Apple, Samsung oder auch Google: Das neue Handy wirkt eher ein wenig wie eine neue Alpha Systemkamera. So sollen die Ingenieure von Sonys A9-Kamera bei der Entwicklung geholfen haben. Das Konzept ist sehr interessant, zeigt aber vielleicht auch, dass Sony einige Probleme hat.
Auf den ersten Blick wirkt das neue 6,5-Zoll-Handy von Sony sehr hochwertig, geboten wird ein 6,5-Zoll-Display wie beim Vorgänger Xperia 1 auch ein Kameramodul mit drei Objektiven ist fast schon Standard. Gewicht und Bildschirmgröße entsprechen in etwa dem iPhone 11 Pro Max von Apple, auch der Preis von wohl 1150 Euro ist sehr ähnlich. Von Außen gibt es wenig Unterschiede zu den Topmodellen anderer Hersteller.
Große Unterschiede gibt es aber im Konzept der Kamera, für viele Hersteller aktuell das wichtigste Modul des Smartphones.
Fast wie eine Systemkamera
Auffallend ist die Vielzahl an Details, die Sony aufzählt – offensichtlich richtet sich der japanische Hersteller an Anwender mit Vorwissen im Bereich Foto, Video und Audio. Während etwa Apple die Hersteller von Objektiv und Sensor nicht nennt, prunkt auf den drei Rückenkameras des Xperia ein Zeiss-Logo, wie es auch auf teuren Premium-Objektiven für Sonys Alpha-Kameras zu finden ist. Zeiss T Coating wird für die Linsen versprochen, eine Spezialbeschichtung, mit der wohl nur Foto-Profis etwas anfangen können. Das aus drei Kameras bestehende Kamerasystem ist technisch beeindruckend: Das Autofokussystem soll besonders genau und besonders schnell sein, ein spezieller 3D-Tiefensensor sorgt bei Dunkelheit für scharfe Bilder. Sowohl Augen von Menschen als auch auf Tiere unterstützt das Autofokussystem, eine Profi-Funktion, die auch unter Sonys Systemkameras nur neue Modelle beherrschen.
Statt einer Automatik zu vertrauen, kann man ISO, Verschlusszeit, Weißabgleich und mehr manuell steuern, die Aufnahme als RAW-Datei ist möglich. Gut: Die Weitwinkelkamera erhielt einen besonders großen Sensor der Abmessung 1/1,7 Zoll – größer als in mancher Bridge-Kamera und dadurch besonders lichtstark. Neben einer zusätzlichen Weitwinkelkamera ist außerdem eine Tele-Linse mit recht hoher Brennweite dabei (Kleinbildäquivalent 70 mm). Das Display soll Profi-Ansprüchen genügen, Sony wirbt mit „powered by CineAlta“, dabei handelt es sich um die Profi-Kameralinie von Sony. Auch die Audio-Funktionen wirken beeindruckend.
Nicht zuletzt empfiehlt Sony, das Smartphone als eine Art externen Monitor für seine Sony Alpha oder Cine Alta zu verwenden – per WLAN verbunden.

©Sony
Kommentar: Interessant ist, was fehlt
Auf den ersten Blick wirkt das Xperia wie ein echtes Profi-Smartphone und bietet ein völlig anderes Konzept als Apples und Co. Nach unserem Eindruck ist das Xperia aber wohl doch eher ein Nischenprodukt und zeigt, dass Sony längst von seinen US-Konkurrenten abgehängt wurde. Sony setzt auf traditionelle Kamera-Funktionen wie Autofokus und zahllose manuelle Einstellungsmöglichkeiten. Das Konzept von Sony ist offensichtlich, die Funktionen seiner Profi-Kameras auch auf seinem Smartphone anzubieten. Wir fragen uns aber, ob dies bei einem Smartphone nicht fast schon sinnlos ist?
Bei einer Systemkamera kann ein Fotograf dank Wahlräder und Spezial-Buttons intuitiv und schnell Blende, Weißabgleich, Belichtung oder auch die ISO-Einstellung ändern. Bei einem Smartphone ist eine Bedienung nur über winzige Touchscreen-Buttons möglich. Es gibt bei einer Smartphone-Kamera zudem nur wenig, das man einstellen kann: Ein Smartphone-Objektiv hat eine feste Blende und durch den winzigen Sensor einen riesigen Schärfebereich. Manuelle Einstellungen sind meist gar nicht nötig. Anders als bei einer Vollformatkamera mit winzigem Schärfebereich kommt man meist sogar ohne aufwendiges Autofokussystem aus – das Weitwinkelobjektiv von Apples iPhone 11 ist etwa ein Fixfokus-Objektiv.
Auch bei der automatischen Einstellung von Weißabgleich oder Belichtung arbeiten aktuelle Smartphones meist perfekt. Die Option RAW-Fotos zu erstellen ist dagegen selten hilfreich: Die Winz-Sensoren eines Smartphones erfassen meist zu wenig Bildinformationen, um in einer Nachbearbeitung Schatten aufzuhellen oder überbelichtete Stellen zu korrigieren. Apple und Google gehen hier ja einen anderen Weg und kombinieren stattdessen multiple Aufnahmen um Nachtaufnahmen oder hohe Dynamik zu erzeugen. In gewisser Weise zeigt das Xperia, dass Sony von seinen Konkurrenten bereits etwas abgehängt wurde. Interessanterweise verzichtet der japanische Hersteller nämlich auf etwas, womit Google und Apple zuletzt viele Käufer überzeugen konnten: Eine Kamerafunktion wie Nightshot oder Deep Fusion, die alles aus den winzigen Objektiven und Sensoren eines Smartphones herausholt. Die US-Konzerne haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit und Aufwand in die sogenannte Computational Fotografie investiert, um diese Funktionen zu perfektionieren. Aufwendige Algorithmen und Spezialchips, die den Nachtmodus eines Pixel oder beim iPhone 11 die Option Deep Fusion erst ermöglichen. Auch bei den Kamera-Apps versuchen Apple und andere Hersteller wenig Bedienelemente zu zeigen, um die Bedienung einfach zu halten. Die Oberfläche wirkt vielleicht weniger “Pro” als beim Xperia, liefert aber erstklassige Ergebnisse.

Das neue Xperia ist zwar ein hochinteressantes neues Smartphone mit toller Hardware, das viele interessierte Kunden finden wird. Das Konzept ist aber vielleicht weit weniger „Pro“ als es auf den ersten Blick erscheint. Vielleicht haben die großen Smartphone-Hersteller den Kamerahersteller Sony gerade im Bereich Fotografie schon längst überholt – per Software.