52 Emmy-Nominierungen dieses Jahr , allein 20 davon für “Ted Lasso”, die bestbewerteten Serien aller Streaming-Dienste und das alles für nur fünf Euro im Monat. Anfang des Jahres gabs es sogar drei Oscars für den Film “Coda”, der exklusiv auf Apple TV+ erschienen ist. Apple TV+ könnte es auf dem Papier kaum besser gehen. Und dennoch – so wirklich interessiert sich niemand für Apples Streaming-Dienst.
Die Gründe, die für Apple TV+ sprechen, liegen eigentlich auf der Hand: Die Inhalte erhalten durch die Bank gute Bewertungen und gewinnen Preise. Ein selten gewordener Anblick ist außerdem der siebentägige Probezeitraum. Kauft man ein Apple-Gerät, verlängert er sich sogar auf drei Monate. Netflix und Disney+ hingegen haben sich inzwischen komplett davon verabschiedet. Sky, dessen Streaming-Angebot mittlerweile WOW heißt, hatte diese Option noch nie. Einzig Amazon Prime Video sticht mit einem kompletten Probemonat hervor.
Dann wären da noch die Kosten: All das bekommt man bei Apple TV+ für fünf Euro im Monat in 4K. Netflix beginnt bei 7,99 Euro für SD-Qualität, Disney+ kostet 8,99 Euro im Monat, hat darüber hinaus aber immerhin keine Abstufungen, und WOW kostet, wie Netflix, 7,99 Euro im Monat, allerdings nur für Serien. Am nächsten an die Attraktivität von Apple TV+ kommt wieder Amazon Prime Video für 7,99 Euro im Monat und das auch nur, weil Prime Video in der Prime-Mitgliedschaft mit vielen anderen Vorteilen enthalten ist.
Apple TV+ und Disney+ sind beide 2019 gestartet, aber ihr Wachstum könnte unterschiedlicher nicht sein. Während Apple sich mit konkreten Zahlen bedeckt hält und Statista rund 20 Millionen Abonnent:innen im März 2022 schätzt – 70 weitere Millionen, die über Probeabos und andere Promo-Aktionen angemeldet sind –, hat Disney+ laut eigenen Angaben, Stand Februar 2022, satte 136 Millionen Abonnent:innen. Netflix hingegen liegt bei 220 Millionen – Tendenz fallend – und Amazon Prime Video bei 200 Millionen.
Mit lediglich 20 Millionen Abonnent:innen liegt Apple TV+ also trotz eines sehr attraktiven Gesamtpakets weit abgeschlagen hinter den Streaming-Platzhirschen. Wie kommt es, dass sich scheinbar niemand für Apple TV+ interessiert? Ich habe da meine Vermutungen.
Zu wenige Inhalte
Eine der Ursachen, die sich am einfachsten quantifizieren lässt, ist die Größe des Angebots. Hierzu hat der Finanzdienstleister Self Financial eine umfangreiche und interessante Analyse veröffentlicht . Zwar geht es dem Unternehmen hauptsächlich darum, herauszufinden, welcher Streaming-Anbieter sich finanziell am meisten lohnt, doch auch jenseits davon gibt lassen sich Schlüsse ziehen.

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Eins wird hier ganz deutlich: Apple ist bei der Größe des Angebots weit abgeschlagen. Self beziffert die Anzahl der Inhalte von Apple TV+ mit 147. Schließt man die Streaming-Dienste aus, die in Deutschland ohnehin nicht verfügbar sind – HBO Max, Paramount+, Hulu und Peacock –, ist der nächste Mitbewerber Disney+ mit 1581 Inhalten, also einem zehnmal so großen Angebot wie Apple TV+ es hat.
Doch selbst das ist nichts im Vergleich zum Platzhirsch Netflix mit 6475 Inhalten. Pro Euro kommt man so bei Netflix auf 719 Filme und Serien, bei Disney+ immerhin noch auf 176 und bei Apple TV+ lediglich auf 29. Das macht Apple TV+ im Vergleich zu allen anderen Streaming-Anbietern furchtbar unattraktiv, auch wenn die Filme und Serien, die dort verfügbar sind, im Durchschnitt besser bewertet sind als bei allen anderen Anbietern.
Qualität statt Quantität?
Doch selbst, wenn man argumentiert, dass Apple lieber auf Qualität setzt, statt auf Quantität, geht die Rechnung nicht zwingend auf. Mit einer durchschnittlichen IMDB-Bewertung von 7,08 von 10 liegen die Inhalte von Apple TV+ bequeme 0,2 Punkte vor Disney+, doch gute Wertungen allein sind kein guter Indikator für Erfolg, denn Kritikermeinungen reflektieren nicht zwingend den Geschmack der breiten Masse. Wenn wir die beliebtesten Serien auf Apple TV+ betrachten, stellen wir fest: Sie sind alle sehr anspruchsvoll und von Apple-Produktionen würde ich auch nicht weniger erwarten.

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Jedoch hat Apple TV+ keine einzige Serie im Portfolio, von der man sich halb-geistesabwesend auf dem Sofa berieseln lassen kann. Selbst “Ted Lasso”, die Comedy-Serie, die sich am ehesten dafür eignen würde, benötigt ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Apple TV+ fehlt ein “The Big Bang Theory” oder ein “How I Met Your Mother”, um die Massen vor den Bildschirm zu holen. Qualität ist zwar schön und gut, aber weil sich Apple bisher nur an ein eher anspruchsvolles Publikum richtet, ist es – freiwillig oder unfreiwillig – für viele potenzielle Abonnent:innen einfach uninteressant.
Apple, wem Apple gebührt
Hinzu kommt, dass sich Apple TV+ hauptsächlich an Apple-User:innen richtet. Mit seinem Streaming-Dienst spielt das Unternehmen mit dem klassischen Apple-Image: Wer zu Apple greift, bekommt nur das Beste und wer konkurrierende Plattformen verwendet, der hat Pech gehabt. Gut, so sehr lässt sich das auch wieder nicht pauschalisieren, aber in der Liste der Plattformen, auf der die Apple TV+-App verfügbar ist, klafft eine bemerkenswert große Lücke: Android. 2019 hat sich der Marktanteil des Google-Betriebssystems bei rund 87 Prozent eingependelt und schwankt seitdem jährlich nur wenige Prozentpunkte – Millionen von Geräten, die sich Apple durch die Lappen gehen lässt.
Nun muss man fairerweise sagen, dass Apple TV+ natürlich auch auf Android-Geräten funktioniert, und zwar in jedem beliebigen Browser. Für Android-Nutzer:innen wäre es also ein Leichtes, eine Verknüpfung auf den Startbildschirm zu legen, mit der sie, genau wie mit einem App-Symbol zu Apple TV+ kämen.

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Aber Apps sind mächtig. Auch wenn es die Dinge etwas arg vereinfacht, so kann man durchaus behaupten, dass Apple maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Apps ein zentrales Element jedes mobilen Betriebssystems sind und als solche auch im Bewusstsein der Nutzer:innen gefestigt sind. Ganze Betriebssysteme sind an fehlenden Apps zugrunde gegangen: 2017 sah sich Microsoft gezwungen, seine mobilen Ambitionen umzudenken und Windows 10 Mobile einzustellen. Einer der Hauptgründe für die spärliche Verbreitung: Mangel an Apps und das trotz finanzieller Unterstützung von Microsoft.
Nun ist Android aber zu groß, als dass eine fehlende Apple TV+-App der alleinige Grund dafür sein könnte, dass Android Marktanteile verliert. Vielmehr ist die Dynamik hier umgekehrt: da Apple für Android keine dedizierte App für seinen Streaming-Dienst anbietet, schließt es Millionen potenzieller Kund:innen aus und hemmt somit sein Wachstum. Kurios ist, dass Apple Android nicht kategorisch ausschließt: Für Google TV etwa, die Android-Version, die als Betriebssystem auf immer mehr Fernsehern zum Einsatz kommt, gibt es eine App für Apple TV+. Da Google TV und Android dieselbe Basis verwenden, sollte es also ein Leichtes sein, die App auch für mobile Geräte herauszubringen. Tut Apple aber (noch) nicht.
Der Markt ist übersättigt
Das wohl größte Problem von Apple TV+ ist jedoch wahrscheinlich, dass der Streaming-Markt komplett übersättigt ist. Erstmals in der Geschichte des Unternehmens verzeichnet Netflix nicht nur ein geringeres Wachstum – ihm laufen die Abonnent:innen sogar davon. Freilich spielen hier die Ausnahmejahre 2020 und 2021 hinein, in denen Streaming wegen weltweiter Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie regelrecht explodiert ist. Ein Großteil dieser Neukunden kann jetzt aber wieder den Dingen nachgehen, die sie vor der Pandemie nachgegangen sind – außerhalb ihrer vier Wände und abseits ihrer Bildschirme.

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Hinzu kommt, dass alle ein Stück vom Streaming-Kuchen abhaben wollen. Wie Netflix kauft Amazon Lizenzen für Filme und Serien ein, um sie exklusiv auf seinem Streaming-Dienst zeigen zu können, setzt mittlerweile aber auch vermehrt auf Eigenproduktionen. Disney hingegen preschte 2019 mit seiner gigantischen Medienmacht auf den Markt. Marvel Studios, Star Wars, klassische Disney-Filme und -Serien – all das hat ungeheure Zugkraft und bescherte dem Konzern, der längst nicht nur für Mickey Maus bekannt ist, ein rasantes Wachstum. Natürlich will auch Apple ein Stück vom Kuchen abhaben, steht aber vor der Mammutaufgabe, sich gegen die anderen Riesen behaupten zu müssen – und zwar allein mit Eigenproduktionen. Diese Strategie ist typisch Apple, geht aber nur sehr langsam auf – wenn überhaupt.
Für Verbraucher:innen kommt erschwerend hinzu, dass die Streaming-Landschaft immer unübersichtlicher geworden ist. Während man früher einfach zu Netflix gegriffen hat, weil (fast) alles dort verfügbar war, ist das Segment mittlerweile so stark fragmentiert, dass niemand so richtig weiß, wo was verfügbar ist. Will man alle Filme und Serien schauen, die einen interessieren, benötigt man im Normalfall auch alle Streaming-Dienste – und die wollen alle bezahlt werden. Ruckzuck ist man bei knapp 50 Euro im Monat, was sich Viele nicht mehr leisten können oder wollen. Und auf der Strecke bleiben dann die Streaming-Dienste, die sich am wenigsten „lohnen“ – in diesem Fall also Apple TV+.