RAW Power ist nicht, wie der Name vermuten lässt, nur ein Programm, um im RAW-Format aufgenommene Fotos zu entwickeln und zu bearbeiten. Denn das Programm kommt auch mit anderen Formaten wie JPEG und HEIC zurecht. Zudem wartet es mit einer besonderen Eigenschaft auf: RAW Power arbeitet mit der Systemfotomediathek der Fotos-App von macOS zusammen und kann auf die dort gespeicherten Bilder zugreifen und diese bearbeiten. Alternativ lassen sich die Bearbeitungswerkzeuge von RAW Power direkt in der Fotos App anstelle der Werkzeuge der App verwenden. Dazu aktiviert man in Fotos den Bearbeitenmodus und wählt RAW Power im Menü „Erweiterungen“ aus, das man mit einem Klick auf das Symbol mit den drei Punkten einblendet. Dazu muss in der Systemeinstellung „Erweiterungen“ RAW Power für die Fotos-Bearbeitung aktiviert sein. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit RAW Power die Fotos im Dateisystem von macOS zu verwalten und dafür eine eigene Ordnerstruktur anzulegen.

RAW Power gibt es außerdem als App für iOS und iPadOS mit demselben Funktionsumfang. Auch dort arbeitet die App mit der Fotos App zusammen, kann alternativ aber auch auf die App „Dateien“ zugreifen und Bilder dort öffnen, bearbeiten und speichern. Sofern man iCloud-Fotos auf den Geräten aktiviert und RAW Power die Bilder in Fotos verwalten lässt, werden die Bearbeitungsschritte zwischen allen Geräten synchronisiert. Nik Bhatt, der Entwickler des Programms, das auf deutsch lokalisiert ist und momentan im App Store 30 € kostet, war 18 Jahre lang bei Apple in leitenden Positionen in den Teams von Aperture, Fotos und Camera RAW tätig. Auf der Webseite des Entwicklers ist auch eine Testversion für den Mac zu finden. Die App für iOS und iPadOS kostet 11 € (In-App Kauf) und kann aktuell ohne ein Zeitlimit ausprobiert werden.

Bilder verwalten
Alle mit RAW Power vorgenommenen Bearbeitungsschritte erfolgen zerstörungsfrei. Sie lassen sich nachträglich verändern oder komplett zurücknehmen, so wie man das aus Fotos gewöhnt ist. Man darf RAW-Bilder aber weder mit den Werkzeugen von Fotos noch mit denen einer anderen Erweiterung ebenfalls bearbeiten. Denn in diesem Fall werden an RAW Power anstelle von RAW-Bildern JPEGs übergeben. Im Programm und in der Erweiterung wird das durch ein Warndreieck oberhalb der Werkzeuge signalisiert. Verwendet man das Dateisystem von macOS anstelle der Fotos-Mediathek, sichert RAW Power die Bearbeitungsschritte in einer separaten Datei in einem Verzeichnis im Ordner „Dokumente“, zusammen mit einem Vorschaubild im JPEG-Format. Die Originale bleiben unverändert. In diesem Fall darf man die Originalbilder später aber nicht umbenennen, da sonst die Verknüpfung zwischen Original und der Datei mit den Änderungsdaten verloren geht. Wesentlich komfortabler ist es darum, die Fotos-Mediathek als Bildspeicher zu verwenden, wobei es aber einen kleinen Nachteil gibt. Denn beim Speichern einer Änderung muss man jedes Mal bestätigen, dass das Bild geändert werden darf, obwohl in den Systemeinstellungen RAW Power der volle Zugriff auf die Fotos-Mediathek eingeräumt wurde. Das ist auch auf dem iPad und dem iPhone der Fall. Da sollten Apples Programmierer unserer Meinung nach nachbessern.

Startet man RAW Power auf dem Mac als eigenständiges Programm, sieht das Fenster ähnlich wie in Fotos aus. In der linken Seitenleiste ist der Browser mit den Ordnern und Alben angeordnet, in der Mitte werden das aktuelle Bild und die Vorschaubilder angezeigt, und rechts findet man die Bearbeitungswerkzeuge beziehungsweise, anders als in Fotos, die Informationen zum jeweils geöffneten Bild, inklusive einer Karte, sofern die Ortsinformationen im Bild enthalten sind. Sowohl der Browser als auch der Bereich mit den Infos und Werkzeugen lassen sich individuell ein- und ausblenden. Auch die Vorschaubilder kann man ausblenden. Macht man einen Doppelklick auf ein Vorschaubild, werden alle Bilder im Album wie auf einem Leuchttisch angeordnet. Diese Darstellung bietet zudem die Möglichkeit, mehrere Bilder zu markieren und dann beispielsweise zu bewerten, oder um als Presets gespeicherte Arbeitsschritte und die Auto-Verbesserung auf alle Bilder gleichzeitig anzuwenden.

Nicht zugreifen kann RAW Power auf die von Fotos generierten und kuratierten Verzeichnisse wie „Rückblicke“, “Personen“ oder „Orte“ sowie auf die in Fotos angelegten intelligenten Alben. Alle anderen Ordner und Alben sind zugänglich inklusive der Alben mit den Medienarten. Man kann in RAW Power neue Alben und Ordner anlegen, die dann in der Fotos-Mediathek gespeichert werden, und es gibt standardmäßig Ordner für bewertete Bilder (ein bis fünf Sterne) und für abgelehnte Bilder, ähnlich wie früher in iPhoto.
Ein weiterer Vorteil von RAW Power ist die Möglichkeit, wie in einem Browser Tabs anzulegen und in diesen verschiedene Alben anzuzeigen. Die Symbolleiste mit den Werkzeugen für die Datenverwaltung oben im Fenster lässt sich wie aus anderen Programmen gewohnt bearbeiten. Dort findet man außerdem die Optionen zum Bewerten (das geht auch schnell mit den Tasten 1 bis 5), zum Sortieren sowie eine Filteroption. Mit dieser lassen sich die Bilder eines Albums nach bestimmten Kriterien zusammenstellen, ähnlich wie in einem intelligenten Album.
Die Bearbeitungswerkzeuge
RAW Power umfasst 16 Bearbeitungswerkzeuge sowie eine Funktion zum automatischen Verbessern. Dazu kommen noch die speziellen Einstellungen für Bilder im RAW-Format, die sich nur bei diesem Bildformat einblenden. Die Werkzeuge sind identisch, egal, ob man RAW Power als eigenständiges Programm oder als Erweiterung in Fotos verwendet.

Alle Einstellungen betreffen immer das gesamte Bild, es gibt kein Werkzeug zum Retuschieren und auch keines zum Bearbeiten von roten Augen. Dafür lassen sich mit RAW Power unter anderem chromatische Aberrationen (nur manuell) sowie die Perspektive der Bilder bearbeiten. Eine interessante Option sind die Lookup Tables (LUT). Dabei handelt es sich um Einstellungen, mit denen sich ein Bild verfremden lässt, um etwa die Farbstimmung zu verändern oder um analoge Filmtypen zu simulieren. Zusätzlich zu den mitgelieferten LUTs lassen sich weitere Looks importieren, es gibt dafür einige Anbieter im Netz. Ein weiteres nützliches Werkzeug ist die Möglichkeit, sich die Stellen in einem Bild anzeigen zu lassen, die im hellen beziehungsweise im dunklen Bereich keinerlei Zeichnung mehr enthalten. Diese werden dann rot beziehungsweise blau eingefärbt. Ein nettes Detail: Sobald ein Schieberegler bewegt wurde, färbt sich der Anfasserpunkt ein. Dann sieht man sofort, welche Einstellungen geändert wurden und welche nicht. Ein Doppelklick auf einen Anfasser stellt diesen wieder auf den Ursprungswert zurück. Auch die Ankreuzkästchen vor dem Namen eines Werkzeugs werden eingefärbt, sobald mit diesem eine Einstellung vorgenommen wurde. Wie in Fotos blendet die Taste „m“ auf der Tastatur das Originalbild ein, um es mit dem bearbeiteten Bild zu vergleichen.

Um die Übersichtlichkeit in der Werkzeugleiste zu erhöhen, lassen sich alle Einstellungen der Werkzeuge auf einmal ausblenden, sodass nur noch die Werkzeugnamen aufgelistet werden. Oder man stellt ein, dass nur die Anpassungen des jeweils aktivierten Werkzeugs eingeblendet werden. Außerdem kann man das Standardset bearbeiten und alle Werkzeuge daraus entfernen, die man selten oder gar nicht benötigt, sowie die Reihenfolge der Werkzeuge ändern. Hat man mehrere Bilder, auf die man dieselben Einstellungen anwenden möchte, nimmt man diese zuerst bei einem Bild vor und speichert die Einstellungen als Voreinstellung (Preset). Ein Preset lässt sich dann auf andere Fotos mit einem Klick übertragen. Man kann auch die Anpassungen, die man an einem Foto vorgenommen hat, über das Kontextmenü kopieren und auf andere Bilder übertragen.
RAW-Bilder
Für die Entwicklung von RAW-Bildern setzt RAW Power im Wesentlichen auf Apples RAW-Engine. Da Apple aber einige RAW-Formate gar nicht oder noch nicht unterstützt, hat Nik Bhatt die RAW-Unterstützung von RAW Power erweitert. So kann man beispielsweise die komprimierten Formate von Fujifilm-Kameras oder die RAWs der Go Pro mit dem Programm entwickeln.

Wählt man in der RAW Power-App oder in der Erweiterung ein Foto aus, das im RAW-Format aufgenommen wurde, gibt es für diese das Werkzeug „RAW Processing“, das sich automatisch einblendet. Die Anpassung „Verstärkung“ muss man sich bei der Bearbeitung als erstes vornehmen. Standardmäßig ist der Regler auf „1,0“ gesetzt was bedeutet, dass die Bilder kontrastreicher entwickelt werden und dadurch gefälliger wirken. Um die Rohversion des Bildes zu erhalten, setzt man den Regler auf „0“, der Kontrast ist dann deutlich geringer. Bei überbelichteten Bildern empfiehlt der Entwickler, höchstens „0,5“ einzustellen. Danach verwendet man dann die anderen Regler. Die Option „Gamut Map“ ist standardmäßig aktiviert, um zu vermeiden, dass stark gesättigte Farben abgeschnitten werden, lässt sich aber auch deaktivieren.
Eine zusätzliche Einstellung gibt es für Fotos, die im Format Apple ProRAW aufgenommen wurden, das momentan vom iPhone 12 Pro und 12 Pro Max unterstützt wird. Denn bei diesem Format handelt es sich nicht um reine RAW-Daten, sondern Apple verwendet bei diesen Aufnahmen ein Local Tone Mapping, um Weißabgleich, Belichtung und Farbe zu optimieren, damit die Bilder gefälliger aussehen, ähnlich wie bei den im HEIC-Format aufgenommenen Fotos. Wer diese Bearbeitung nicht haben möchte, setzt den Regler „Local Tone Map“ auf „0“. Die anderen Einstellungen sind dieselben wie bei normalen RAW-Aufnahmen. Bei etlichen Kameras mit Festbrennweite nimmt die RAW-Engine von Apple auch automatische Objektivkorrekturen vor, unter anderem bei Weitwinkelaufnahmen mit dem iPhone 12 Pro. Dann ist die Option „Apple Objektivkorrektur“ aktiviert, die man aber ausschalten kann. Bei Kameras, bei denen Apples RAW-Engine keine Objektivkorrekturen macht, lassen sich Korrekturen manuell vornehmen. Hat man mehrere Bilder, auf die man dieselbe Objektivkorrektur anwenden möchte, lernt die Funktion von der ersten Einstellung und man kann diese mit einem Klick auf „Auto“ für andere Bilder übernehmen.
iPhone und iPad
Sowohl auf dem iPhone als auch auf dem iPad stehen dieselben Bearbeitungswerkzeuge zur Verfügung wie auf dem Mac. Startet man die App, blendet sich zuerst die Übersicht über die Alben ein. Tippt man ein Album an, werden die dort abgelegten Bilder angezeigt. Im Querformat blendet die App rechts eine Spalte ein (Inspektor), in der unter „Mediathek“ die verfügbaren Alben aufgelistet werden und unter „Info“ die Informationen zum Album zu sehen sind. Ist ein Foto ausgewählt, zeigt der Infobereich stattdessen die Bildinformationen an, inklusive einer Karte, wenn die Ortsinformationen im Bild gespeichert sind. Im Infobereich sind auch die Sterne für die Bewertung und die Flagge zu finden. Ein Tipp auf „Labor“ beziehungsweise auf „Bearbeiten“ aktiviert die Bearbeitungswerkzeuge. Im Bearbeitenmodus gibt es oberhalb des Bildes ein Symbol, um das Originalbild einzublenden, oder man tippt etwas länger auf das Bild. Um alle Bearbeitungsschritte rückgängig zu machen, tippt man auf „Werkzeuge“ und dann auf „Zurücksetzen“.

Mit einem Tipp auf das „i“ in der Symbolleiste lässt sich der Inspektor ausblenden. Außerdem lässt er sich alternativ auf der linken Seite anordnen, wozu man auf einen der Spaltentitel tippt und dann nach links zieht. Auf dieselbe Weise geht es auch wieder zurück.
Tippt man ein Bild kurz an, werden außer dem Bild alle anderen Elemente ausgeblendet, also auch die kleinen Vorschaubilder. Ein Doppeltipp vergrößert das Bild auf 100 Prozent, ein weiter verkleinert es wieder. Außerdem lässt sich mit der gewohnten Zweifingergeste mit Daumen und Zeigefinger die Bilddarstellung bis auf 800 Prozent vergrößern und wieder verkleinern. Werden die Bilder eines Albums in der Gitterdarstellung angezeigt, blendet ein Tipp auf den Trichter unterhalb der Bilder die Filteroptionen ein, und ein Tipp auf den Pfeil bestimmt die Sortierordnung. Hat man mit einem Tipp auf „Auswählen“ rechts oben den Auswahlmodus aktiviert, lassen sich mehrere Bilder per Tipp markieren und dann nach einem Tipp auf „Stapel“ gemeinsam bearbeiten. Unter anderem kann man sie in den Originalzustand zurücksetzen, markieren, mit dem Werkzeug „Auto-Verbessern“ bearbeiten oder exportieren. In der Hochkantdarstellung sind die Infos (in einer etwas reduzierten Variante) und die Bewertungssterne unterhalb des ausgewählten Bildes angeordnet, ebenso wie die Bearbeitungswerkzeuge, die man mit einem Tipp auf „Bearbeiten“ einblendet. Zwischen den Werkzeugen scrollt man horizontal.

Alternativ zur Verwendung der Fotos-Mediathek kann RAW Power auf dem iPhone und dem iPad auch auf die App „Dateien“ zugreifen. Dazu tippt man auf das Ordnersymbol unten in der Albenübersicht. Um wieder zur Fotos-Mediathek zurückzukehren, tippt man auf das Blumensymbol. Außerdem arbeitet RAW Power mit der App Halide zusammen, wenn diese installiert ist. Mit ihr kann man auch mit iPhones und iPads RAW-Bilder aufnehmen, die Apple ProRAW nicht unterstützen. Um aus RAW Power heraus direkt zu Halide zu wechseln, gibt es in der Albenübersicht unten ein Symbol, das einen Kameraverschluss darstellt und dem Symbol von Halide entspricht.
Fazit
Insbesondere für Anwender, die ihre Bilder im RAW-Format aufnehmen, egal ob mit einer Kamera oder dem iPhone, bietet RAW Power gute Werkzeuge, um die Bilder zu entwickeln und zu bearbeiten, ohne gleich zu einem professionellen Programm wie Lightroom greifen zu müssen. Aber auch für andere Bildformate erhält man mit RAW Power mehr professionelle Werkzeuge, als sie die Fotos App anbietet. Und ein weiterer Vorteil gegenüber anderen Programmen: Man kann die Mediathek von Fotos verwenden und, sofern gewünscht, über iCloud die bearbeiteten Bilder zwischen allen Geräten synchronisieren.