Als Tim Cook gestern nach einer Stunde und 45 Minuten zu den Schlussworten der WWDC-Keynote überging und das Gezeigte nochmals zusammenfasste, machte sich eine Stimmung breit, wie man sie sonst nach einer üppigen Bescherung am Heiligabend verspürt, wenn auch im letzten Päckchen nicht das war, was man eigentlich haben wollte – mag der Gabentisch auch sonst so reichhaltig gefüllt gewesen sein. Da man es nie allen recht machen kann, stellt sich bei jeder Apple-Keynote diese Enttäuschung ein, die aber höchst individuell ausfällt. Hier eine Liste der Dinge, die Apple gestern nicht einmal am Rande erwähnte, und die viele Leute vermissen werden:
Mac Pro – wir müssen weiter warten
Die WWDC ist doch eine Versammlung von Entwicklern, denen ihre Arbeitsgeräte nie schnell genug sein können, oder? Gerade diesem Kreis zeigt man doch gerne, was maximal mit dem Mac möglich ist. Zuletzt war das im Jahr 2019 der Fall, der bis dato letzten WWDC, auf der 5000 Entwickler aus aller Welt real mit 1000 Apple-Ingenieuren zusammentrafen und den neuen Mac Pro bewundern durften, den Apple zwei Jahre zuvor versprochen hatte. Schon 2017 hatte es als Zwischenlösung einen iMac Pro gegeben, der die Mängel des Mac Pro von 2013 beheben half – und der ebenso auf der WWDC Premiere hatte, wie sein ferner Vorgänger, der erste Mac Pro mit Intel-Chip im Jahr 2006. Jetzt, da der auf zwei Jahre angesetzte Umstieg von Intel-Chips auf Apple Silicon fast abgeschlossen ist, wäre die WWDC eine gute Gelegenheit gewesen, das noch fehlende Modell mit Apple Silicon zu zeigen, eben den Mac Pro.

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Stattdessen aber läutet Apple die M2-Ära mit Macbook Air und Macbook Pro 13” ein, was ja ganz nett ist. Und auf die nächste Bescherung hoffen lässt: Wird der Mac Pro mit Apple Silicon das Spitzenmodell mit M2 Ultra oder hat Apple mit dem M1 noch ein Ass im Ärmel, etwa eine Konfiguration mit zwei M1 Ultra? Irgendwie scheint es Raum zu geben für gleich zwei Herbstkeynotes, bei der die dem Mac gewidmete diese Frage beantwortet.
Wo bleibt die Brille? Keine Hinweise auf der Keynote
Wenn man zwei und zwei zusammenzählt und nicht auf fünf kommt, darf man schließen, dass Apple an einem Headset oder einer Brille arbeitet, welche die Realität mit digitalen Elementen anreichern wird. Eine solche Mixed Reality kennt man schon aus zahlreichen iPhone-Spielen oder nützlichen Apps, mit denen man sich etwa Möbel aus dem Versandhaus virtuell in die Wohnung stellen kann. Das Ganze aber direkt vor der Nase, würde etwa bedeuten, sich ohne Weiteres in fremden Städten orientieren zu können oder neben dem auf dem Wurfhügel stehenden Pitcher seine Saison- und Karrierestatistik in der Baseballliga zu sehen. Denkbar sind viele Anwendungen, Apple hat die notwendige Technologie längst entwickelt oder dazugekauft und auch den Ausbau der 5G-Infrastruktur vorangetrieben. Es fehlt noch an einem Produkt, das schon auf den ersten Blick die Skeptikerfrage “Wozu brauche ich das?” beantwortet und einen unwiderstehlichen Kaufreiz auslöst.

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Damit das passiert, muss es von Anfang an sinnvolle Anwendungen geben. Gäbe es also einen besseren Kreis zur Vorstellung eines Produktes und seines Betriebssystems als die WWDC? Die gezeigten neuen Funktionen der bestehenden Systeme lassen auch keine Rückschlüsse zu der Art “Ah, das hat mit AR/VR zu tun!”, sondern dienten vorwiegend der Nützlichkeit etablierter Geräte. Nicht auszuschließen, dass erst die WWDC 2023 einen ersten Blick auf realityOS und das Produkt dafür gewährt, obwohl einige Analysten schon von der zweiten Jahreshälfte 2022 sprachen .
iPad-Software für Profis und Multiuser – weiterhin verpasste Chance
Wir sehen schon die Wunschliste für iPadOS 17 vor uns: Ganz oben wird etwas von Multiuser-Unterstützung stehen, gefolgt von “Profi-Software”. Ersteres gibt es mit Einschränkungen für Firmen und den Bildungsbereich bereits, technisch wäre es wohl kaum ein Problem, aber Apple will Familien lieber mehrere iPads verkaufen als eines für mehrere Benutzer. Beim zweiten Punkt muss man nachfragen: welche Profi-Software denn? Photoshop funktioniert auf dem iPad so lala, Affinity Photo etwas besser. Gemeint sind aber Apples eigene Programme. Wo bleiben Logic, Final Cut und Xcode auf dem iPad? Wenigstens die Pro-Modelle sollten das im Kreuz haben, wo sie doch schon externe Monitore vernünftig ansteuern, wenn iPadOS 16 draußen ist.

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Apple sieht das vermutlich anders: Mit Garageband kann man auf einem iPad wesentliche Basisarbeiten verrichten, den Rest erledigt man eben im Studio, bevorzugt mit einem Mac Studio und Logic Pro. Videoschnitt mit iMovie auf dem iPad ist an sich eine ganz andere Disziplin als der mit Final Cut – auch hier eignen sich Desktops einfach besser oder als Desktops ausgerüstete Macbooks Pro. Und Xcode auf dem iPad braucht es bald gar nicht mehr, so wie Apple die Swift Playgrounds ausbaut .
Ja, mia san mit’m Radl da
Als passionierter Radfahrer verzweifelt man an deutscher Verkehrspolitik – noch mehr aber an Apple Maps. Ja, sicher, Apple baut nach und nach Fahrradnavigation in seine Karten ein, aber erst mal für Städte, in denen man lieber nicht mit dem Radl fährt, will man den Trip überleben. Also bleibt man auf Google Maps angewiesen oder auf für Radler spezialisierte Lösungen. Wie schön wäre es gewesen, wenn Apple, das doch so sehr auf Gesundheitsfunktionen von Apple Watch und iPhone setzt, endlich mehr für Fahrradfahrer unternimmt. Wie wäre es etwa, einen der Spezialisten zu übernehmen? Cupertino hat dafür mehr als genug Geld im Tresor, aber offensichtlich keine Radler in Entscheidungsebenen – schade.
Die Lücke auf dem Desktop bleibt
Schraubt man den Mac Mini M1 auseinander, fällt auf, dass Apple im Gehäuse viel Platz gelassen hat. Das hat zwei mögliche Konsequenzen: Ein noch kleinerer Mac Mini wäre denkbar, so etwa in der Größe eines Raspberry Pi. Oder Apple verbaut in das gleiche Gehäuse noch einen Chip, der etwas mehr Abwärme produziert und für den die Ausmaße dann genau richtig sind. Ein Mac Mini mit M1 Pro (und M1 Max) würde zudem eine Lücke schließen, die etwas wundersam anmutet. Denn Apples aktuelle Desktoprechner sind ausgestattet mit M1 (Mac Mini, iMac), M1 Max (Mac Studio) und M1 Ultra (auch Mac Studio). Der Mac Pro wird noch darüber sein, aber zwischen M1 und M1 Max klafft eine Lücke. Vielleicht schließt Apple diese ja im Herbst – oder setzt den Mac Mini dann gleich auf M2 und M2 Pro.